Der Kaffeehaendler - Roman
fürchtete. Sie holte tief Luft und zwang sich zur Ruhe.
»Erklär mir das«, sagte Daniel und zeigte mit einem knochigen Finger auf das Buch.
Hannah starrte es an, sagte aber nichts.
»Hörst du mich nicht, Frau?«
»Ich höre«, erwiderte sie.
»Dann antworte mir. Bei Gott, ich habe nicht oft die Hand gegen dich erhoben, doch jetzt tue ich es, wenn du weiterhin so halsstarrig bist. Hat dir jemand das Lesen beigebracht?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Und woher stammt das Buch?«
Es war sinnlos, ein Geheimnis daraus zu machen. Daniel konnte ihm nicht mehr schaden. Sie vermutete, Miguel würde wollen, dass sie es ihm erzählte. »Es stammt von Senhor Lienzo«, sagte sie. »Er hat es mir geschenkt.«
Daniel hätte sich nicht röter verfärben können, wenn er die Luft angehalten hätte. »Miguel«, sagte er leise. »Was dachte er sich dabei, dir etwas zu schenken?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe ihm erzählt, dass ich wünschte, ich könnte lesen, und so hat er es mir gegeben.«
Daniel sog den Atem ein. Er strich sich übers Kinn, steckte dann Daumen und Zeigefinger in den Mund und begann, dort herumzugraben. Nach einem Moment hörte er auf. »Hat er dir sonst noch etwas geschenkt?«, fragte er verbittert.
Sie hatte nicht gewusst, dass sie das sagen würde. Willentlich hätte sie sich nie dazu durchgerungen. Der Mut hätte ihr
gefehlt. Und es war keine Entscheidung, zu der sie sich allein berechtigt fühlte. Es gab nichts Selbstsüchtigeres, als einen anderen Menschen mit in eine Lüge einzubeziehen, und doch tat sie es. Die Worte entschlüpften ihr.
»Dieses Kind«, sagte sie, beide Hände auf ihrem Bauch. »Er hat mir dieses Kind geschenkt.«
Ihr war so kalt, dass sie ihre Zähne kaum am Klappern hindern konnte. Ihr wurde schwindelig; sie sah nur noch verschwommen. Was hatte sie getan? Was für einen entsetzlichen Schritt hatte sie unternommen? Beinahe hätte sie sich Daniel zu Füßen geworfen und ihm gestanden, dass sie diese Worte aus lauter Bosheit gesagt, dass sie ihr Ehebett natürlich nie entweiht hatte. Doch obwohl es wahr gewesen wäre, hätte es wie eine Lüge geklungen. Deswegen hatte sie die Worte ja auch geäußert. Einmal ausgesprochen, ließen sie sich nie wieder zurücknehmen.
Ihr Mann blieb reglos stehen; seine Arme hingen schlaff an ihm herab. Sie hatte erwartet, dass er sich auf sie stürzen, auf sie einschlagen würde, mit den Händen oder was sonst in seiner Reichweite war. Sie war darauf vorbereitet, ihr Baby zu schützen, komme, was wolle.
Er hätte auch einfach aus dem Raum gehen oder sie verfluchen können. Nichts von alledem tat er, und jetzt hatte Hannah einen Grund, ihre Worte zu bereuen, nicht weil sie die Konsequenzen für sie oder auch für Miguel fürchtete, sondern weil sie sah, was sie für ihren Mann bedeuten mochten. Sie hatte ihn aufgebracht, wütend, mordlüstern erwartet, aber nicht gebrochen und besiegt.
»Dann habe ich nichts mehr«, sagte er leise. »Alles ist verloren. Das Haus werde ich verkaufen müssen. Und ich werde nicht einmal einen Sohn haben.«
»Eine Tochter«, entgegnete Hannah sanft. »Das habe ich geträumt.«
Daniel schien sie nicht zu hören. »Ich habe alles verloren«, sagte er wieder. »Und zwar an meinen Bruder. Hier bleibe ich nicht.«
»Wohin wollen Sie?«, fragte sie, als redete sie mit einem bekümmerten Freund.
»Ich gehe nach Venedig. London vielleicht. Du gehst zu Miguel?«
»Ich weiß nicht, ob er mich aufnimmt.« Ihre wenigen Worte, gesprochen aus Bosheit gegen Daniel, hatten Miguels Leben für alle Zeiten verändert. Wie hatte sie so grausam sein können? Und doch, wenn sie sie hätte zurücknehmen können, hätte sie es nicht getan.
»Er wird dich aufnehmen. So viel Ehre hat er. Ich werde beim Ma’amad eine Scheidung beantragen, und dann verschwinde ich.«
Sie wäre gern vorgetreten, hätte seine Hand ergriffen und ein freundliches Wort gesagt – doch das hätte sie für sich selbst getan, nur um ihre Schuldgefühle zu mindern. Und sie wagte nicht, den Bann zu brechen. »Ich gehe jetzt«, sagte sie zu ihm.
»Das wäre das Beste.«
Während sie durch die Vlooyenburg ging, fiel das Entsetzen Stück für Stück von ihr ab. Sie hatte sich ausgemalt, dass Miguel sie abweisen, sie verfluchen, ihr die Tür vor der Nase zuknallen würde. Was sollte sie dann tun? Sie hätte kein Heim und kein Geld und ein Kind, das sie versorgen musste. Vielleicht würde sie ein Kloster finden, das sie aufnahm, aber sie
Weitere Kostenlose Bücher