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Der Kaffeehaendler - Roman

Der Kaffeehaendler - Roman

Titel: Der Kaffeehaendler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Liss Almuth Carstens
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diesen langen Nächten. Niemand würde es herausfinden, und die Sache würde keine Folgen haben, wenn sie nur Stillschweigen bewahrte.

    Nur die Kaffeebohnen trösteten sie. Sie war noch einmal in Miguels Kammer geschlichen und hatte sich eine Hand voll in die Schürze gesteckt. Eine Hand voll. Wie lange würde das reichen? Also nahm sie noch eine Hand voll und dann eine halbe, um sicherzugehen, dass sie nicht so bald wiederkommen musste. Miguel würde das wohl nicht auffallen. Wenn er mit den Früchten handelte, konnte er sich mühelos mehr beschaffen. Es konnte ja auch schon ein ganz neuer Beutel sein.
    Als sie und Annetje in die Vlooyenburg zurückkehrten, bepackt mit Körben voll Fisch und Möhren, kaute sie ihre Beeren, schön langsam, damit sie länger etwas davon hatte. Doch obwohl sie schon ein Dutzend Bohnen oder mehr gegessen hatte, nagte die Angst an ihr, entdeckt zu werden.
    Geistesabwesend folgte sie Annetje, und diese war boshaft genug, den Weg durch die enge und uralte Hoogstraat, wo die Pflastersteine vom Blut der Schweinemetzgereien rot waren, zu wählen. Sie hatte offensichtliches Vergnügen an der Vorstellung, Schweineblut in ein jüdisches Haus einzuschleppen. Hannah kam mit einem Ruck zu sich und versuchte, den gerinnenden Pfützen auszuweichen, aber als sie den halben Weg über die Insel zurückgelegt hatten, wurde sie von einem durchdringenden Blick abgelenkt. Sie griff mit ihrer freien Hand nach Annetjes Arm in der Hoffnung, ihre Absicht deutlich zu machen: Beeilen wir uns. Annetje spürte, dass etwas nicht stimmte, daher blieb sie stehen und drehte sich um. Hannah blieb nichts anderes übrig, als sich ebenfalls umzudrehen.
    Hübsch wie ein Bild kam die Witwe auf sie zu, ihr breites, unwiderstehliches Lächeln auf dem Gesicht. Sie achtete kaum darauf, wo sie hintrat, anmutig umging sie die Pfützen aus Blut und Dreck. Ein paar Schritte hinter ihr erschien ihr Begleiter, jung, hellhaarig und auffällig gut aussehend.
    »Meine Liebe«, sagte die Witwe zu Hannah, »verstehen Sie
meine Sprache?« Sie wandte sich an Annetje. »Mädchen, versteht die Senhora mich?«
    Hannah war zu verängstigt, um zu lügen oder überhaupt zu antworten. Sie war von dem beißenden Gestank nach Schweineblut wie benebelt. Bestimmt wollte die Witwe jetzt etwas für ihr Schweigen, und wenn Hannah es ihr nicht geben konnte, würde sie sie, ihren Mann und ihr Kind zugrunde richten. Um sich zu retten, würde Daniel sich gewiss von ihr scheiden lassen. Er wäre vielleicht in der Lage, seinen Ruf in der Gemeinde wiederherzustellen, wenn er sich von der Frau abwandte, die seinen Namen beschmutzt hatte. Und was sollte Hannah dann tun, sich und ihr Kind der Gnade eines Klosters ausliefern?
    »Sie versteht schon«, sagte Annetje, die sich keine Mühe gab, ihre Verwirrung zu verbergen. Sie wusste, wer die Witwe war, und konnte sich nicht vorstellen, was sie von Hannah wollte. »Aber Sie bringt kaum ein holländisches Wort über die Lippen.«
    Mochte sie auch bösartig sein, so bewies Annetje jetzt doch, was sie wert war. Wenn Hannah nicht sprechen konnte, würde das die Unterhaltung verkürzen, die Witwe zwingen, sich klar und direkt auszudrücken.
    »Sehr schön, Schätzchen, nicken Sie, wenn Sie mich verstehen, und wenn nicht, schütteln Sie den Kopf. Können Sie das tun, meine Liebe?«
    Hannah nickte.
    »Sie sind ein kräftiges Mädchen, wissen Sie, und hübsch dazu unter diesen grässlichen Kleidern. Wie traurig, dass sich eine solche Schönheit verstecken muss! Senhor Lienzo hat oft erwähnt, wie hübsch Sie sind, und dass sein Bruder Glück hat, eine so ansehnliche Frau zu haben.«
    Hannah wusste nicht, ob sie nicken sollte. Es erschien ihr unbescheiden, ihre eigene Schönheit zu bestätigen. Aber Miguel fand sie hübsch, und das war doch schon etwas.

    Unfähig zu widerstehen, griff sie in ihre Schürze und holte eine der letzten Kaffeebohnen, beschmutzt mit Fusseln und Straßenstaub, hervor. Sie umklammerte sie, hob die Hand vors Gesicht, und schob die harte Frucht verstohlen zwischen die Lippen. Es war zu auffällig, sie zu kauen, sagte sie sich, und fand Trost darin, sich die Beere zwischen die Backenzähne zu klemmen. Ein bisschen zu viel Druck, und die Bohne splitterte. Es würde gehen, wenn sie sie recht vorsichtig kaute.
    »Am Sonntag.« Annetje wiederholte einige Worte, die Hannah entgangen waren. Im Geiste verfolgte sie mehrere Möglichkeiten. »An der Waage?«
    »An der Waage«, stimmte die Witwe freundlich zu.

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