Der Kaffeehaendler - Roman
»Da haben wir uns gesehen, die Senhora und ich. Stimmt’s nicht, meine Liebe?«
Hannah nickte erneut, eine gute Gelegenheit, die größeren Splitter der Beere zu zermahlen.
»Ich sah, wie Sie hinter Ihrem Mädchen hergejagt sind. Ich kann mir nicht vorstellen, was sie getan hatte, um ihre Herrin zu veranlassen, hinter ihr herzujagen, aber das geht mich wohl nichts an.«
Annetje schnalzte mit der Zunge. »Gewiss sind die Mätzchen der Jugend eine so ferne Erinnerung für Sie, dass sie Ihnen seltsam erscheinen.«
»Was für ein geistreiches kleines Luder. Ich werde nachsichtig sein, damit ich schneller zur Sache kommen kann.« Sie schaute Hannah an. »Ich möchte nur, dass Sie wissen, dass ich zufällig den ganzen Morgen in der Nähe der Waage war. Ich sah Sie sogar auf dem Oudezijds Voorburgwal, und ich sah, aus welchem Haus Sie gekommen sind. Ich weiß, was es bedeuten würde, wenn die Welt erführe, dass Sie dort drinnen waren.« Sie streckte die Hand aus und drückte mit den Fingern ganz sanft auf Hannahs Bauch. Nur einen Moment lang. »Ich wollte Sie bloß bitten, vorsichtiger zu sein. Verstehen Sie?«
Hannah nickte wieder.
»Alte, warum sollte sie auf Ihren Rat hören?«, wollte Annetje wissen.
Die Witwe lächelte schmallippig. »Sie wissen wahrscheinlich nichts über mich. Ich kann mir nicht denken, dass der gute Senhor Lienzo Ihnen von mir erzählt, deshalb sorgen Sie sich vermutlich, ob Ihr Geheimnis bei mir gut aufgehoben ist. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Sie von mir nichts zu befürchten haben. Ich habe viele Talente, liebe Senhora, aber keines davon liegt mir so am Herzen wie das, Geheimnisse zu bewahren. Sie können nachts ruhig schlafen in der Gewissheit, dass ich keiner Seele auch nur ein Sterbenswörtchen von dem verraten werde, was ich gesehen habe – auch nicht Senhor Lienzo, obwohl er ein enger Freund von mir ist, nicht einmal meinem lieben Hendrick.«
Hendrick verneigte sich vor Hannah.
»Alles, worum ich Sie bitte«, begann Geertruid, hielt jedoch inne. »Nein, nicht dafür. Ich will keinen Handel mit Ihnen abschließen, ich will nicht, dass Sie glauben, mein Schweigen sei etwas Käufliches und könne leichtfertig gebrochen werden. Ich werde Ihr Geheimnis für mich behalten, trotzdem bitte ich Sie um einen Gefallen, Lämmchen. Darf ich?«
Hannah nickte und schluckte den Rest ihres Kaffees hinunter.
»Das freut mich sehr. Wissen Sie, ich möchte nur, dass Sie nicht über das sprechen, was Sie gesehen haben – nicht mit Senhor Lienzo oder Ihrem Ehemann oder Ihren Freundinnen oder auch nur zu diesem lieben Mädchen hier, auf das Sie angewiesen sind. Ich glaube, es ist am besten, wenn wir beide vergessen, dass wir uns an jenem Tag gesehen haben. Finden Sie nicht?«
Erneutes Nicken.
»Das freut mich. Darf ich Ihnen einen Kuss geben?« Diesmal
wartete Geertruid nicht auf ein Nicken. Sie beugte sich vor und drückte ihre weichen Lippen auf Hannahs Schleier.
»Wenn die Dinge anders lägen, könnten wir bestimmt Freundinnen sein. Es ist traurig, dass das nicht möglich ist, aber glauben Sie mir, dass ich Ihnen stets wohl gesonnen bin. Leben Sie wohl.«
Geertruid drehte sich um und ging auf Hendrick zu, der sich noch einmal vor den Damen verneigte.
»Herrje«, sagte Annetje laut. »Ich hoffe, der Senhor fickt so was Verwelktes nicht.«
Hannah ging raschen Schrittes weiter. Annetje blieb einen Moment stehen, um Geertruid und Hendrick nachzuschauen, und eilte dann ihrer Herrin nach.
»Zum Teufel«, fluchte Annetje, »Sie sollten mir lieber erzählen, worum es ging.«
Hannah hielt den Blick geradeaus gerichtet. Eine Gruppe von Frauen, dickbäuchige Matronen, kamen an ihnen vorüber und beäugten Hannahs Schleier.
»Sie können jetzt sprechen«, drängte Annetje.
»Ich will nicht darüber sprechen«, sagte Hannah. Sie hatte das Gefühl, die Witwe wäre eine Art Hexe, die einen Bann verhängt hatte, und dass ihr Fluch sie treffen würde, wenn sie sich ihren Wünschen widersetzte. Wie konnte sie sicher sein, dass sie keine Hexe war?
»Seien Sie nicht albern«, drängte Annetje flüsternd. »Was die alte Hure sagt, hat gar nichts zu bedeuten. Sie weiß doch nicht, worüber wir reden.«
»Wenn ich will, dass sie schweigt, muss ich es auch tun.«
»Eine merkwürdige Logik.« Annetje schnalzte mit der Zunge. »Ich möchte nur zu gern ihr Geheimnis kennen.«
Hannah blieb stehen. Sie schaute Annetje offen ins Gesicht. »Mein Kind ist in Gefahr. Ich bitte dich, niemandem davon zu
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