Der Kaiser des Abendlandes
ein langsamer Fußmarsch nicht sehr lange.
Er sah sich um. Der große Platz hatte sich fast geleert. Einen Bogenschuss weit entfernt, zwischen zwei halb behauenen Steinblöcken, standen zwei Männer, die erregt miteinander redeten und fahrig gestikulierten.
Ein hochgewachsener Mann, schwarz gekleidet, mit schwarzen Stiefeln, an denen kleine Sporen glänzten, und einem weißen Tuch auf dem Kopf, das von einer schwarzen Kordel um die Schläfen gehalten wurde. Der Schwarzgekleidete war tiefbraun gebrannt; hatte er sich lange in der Wüste aufgehalten, oder kam er aus der Tiefe des Landes? Er ähnelte diesem Abdullah, dem Wächter von Suleimans Vater. Ihm gegenüber trippelte eine füllige Gestalt in einem Burnus, dessen Säume an den Knöcheln, am Halsausschnitt und an den weiten Ärmeln mit breiter Goldstickerei verziert waren. An den Fingern glänzten matt mindestens sieben Ringe, über der Stirn leuchtete in der Mitte des Turbans ein blauer Stein. Mehr vermochte Uthman aus dieser Entfernung und in dem trüben Licht nicht zu erkennen, aber er war fast sicher, dass der Turbanträger ein Eunuch war.
Der andere, vielleicht dreißig Jahre alt, hielt seinen Körper unnatürlich gerade. Alle seine Bewegungen waren knapp, beherrscht und kraftvoll. Sie erinnerten ihn an Henri, seinen Freund, wenn er sich auf einen Kampf vorbereitete. Uthman prägte sich die Gestalt und die eigentümlichen Bewegungen ein und stand auf. Gesprächsfetzen drangen an seine Ohren; er verstand kein einziges Wort. Aber er vergaß niemals einen solchen Mann, denn dessen Verhalten wies ihn als einen Krieger aus, mit dem er es möglichst nie zu tun haben wollte. Er hatte oft gegen solche Männer gekämpft – und bisher immer gesiegt, aber nicht immer war es ein Triumph gewesen.
Uthman ging langsam zur Treppe, die vom Platz in das dar unterliegende Viertel führte. Es war fast windstill; die feuchte Luft lastete über der Stadt. Dreimal, viermal drehte er sich um und beobachtete die Männer, die jetzt in die entgegengesetzte Richtung gingen, noch immer aufgeregt gestikulierend.
Er zuckte mit den Schultern und trat auf die oberste Stufe der breiten Treppe. Ein erstes leises Donnergrollen war zu hören. Aber er ging nicht schneller. Er dachte an die Wurzeln der unterschiedlichen Religionen, die zwar im gleichen Boden gründeten, aus denen aber drei starke Stämme und ebenso viele große, grüne Baumkronen gewachsen waren.
Chalid ibn Nimr ging schweigend und in tiefes Grübeln versunken ungefähr hundert Schritte weit neben Maimonas, dann blieb er zwischen den Säulen der Treppe stehen. Seine Stimme knarzte.
»Was du verlangst – was dein Sultan oder dessen Wesir verlangt –, kostet viel, denn es erfordert viel Kraft, Geduld und Ausdauer. Lohnt sich der Aufwand?«
»Für dich wird er sich lohnen«, antwortete Maimonas und lächelte. Seine Zähne waren unnatürlich weiß. »Der Sultan, in dessen Namen ich mit dir rede, badet in Gold und schwimmt in Silber.«
»Er hat, wenn ich mich recht erinnere, etwas von einem großen, lüsternen Fisch. Das sagen alle, die ihn kennen.«
Maimonas lachte und rückte seinen Turban zurecht. Es klang fast wie das Gurren erregter Tauben.
»Gut beobachtet. Daran ist viel Wahres. Aber das hat nichts mit seiner dringlichen Bitte zu tun.«
»Sondern?«
Der Eunuch seufzte tief, drehte sich um und starrte die riesige dunkle Wolke an, die sich der Stadt näherte. Er stieß einen übertriebenen Seufzer aus und sagte: »Es ist besser, wenn wir keine wirklichen Namen verwenden. Nennen wir den Sultan also Achmad ibn al-Farid. Er beherbergt in seinem Harem in Ägypten viele Mädchen und Frauen von großer Schönheit, unendlicher Anmut und unbeschreiblicher Leidenschaft. Lustsklavinnen zuhauf besitzt er. Doch die Schönste und Feurigste, so sagt man, fehlt ihm noch. Es ist die schwarzhaarige Daraya. Nun hat es Allah in seiner Unergründlichkeit gefügt, dass der Emir gegenwärtig von Darayas unbeschreiblicher Wollust gebannt ist.«
»Der Emir unserer Stadt? Nennen wir ihn einfach Fachr az-Zahra. Etwa von diesem?«, fragte der Schwarzgekleidete ungläubig.
»Inshallah. Du kennst die wahre Geschichte?«
»Nicht im Mindesten. Wie konnte es geschehen, dass der Emir seine Begierde ausgerechnet mit Daraya austobt? Ist etwa der Sultan im Harem des Emirs herumspaziert und hat sich die edlen Jungfrauen genau angesehen – wie auf einem Kamelmarkt?« Der schlanke Mann war stehen geblieben. Seine Sporen klingelten leise.
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