Der Kaiser des Abendlandes
»Ich kann’s nicht glauben.«
Der Eunuch warf die Arme in die Höhe und antwortete: »Es ist eine lange Geschichte voller Wirrnis und Wunder. Ich erzähle sie dir in aller Kürze, denn gleich werden wir bis auf die Haut durchnässt werden: Des Sultans Wesir hat vor einem Dutzend Jahren auf einem Sklavenmarkt ein hässliches, knochiges Kind gekauft. Später hat er dieses Wesen mit wenig Gewinn an einen Händler weiterverkauft. Bei dem ist Daraya schließlich zu einer Schönheit herangewachsen.« Der Eunuch zog seinen Begleiter zur Treppe und kicherte plötzlich. »Irgendwann hat dann mein Vorgänger, der Wesir des Emirs, etwas bei diesem Händler gekauft und die schöne Daraya entdeckt. Er kaufte sie auf der Stelle für den Emir mit dem geheimen Namen Fachr az-Zahra.«
»Und der Wesir des Sultans musste zusehen, wie sie auf dem schaukelnden Rücken eines Rennkamels zum Emir und in dessen gut gefüllten Harem gebracht wurde. Richtig?«
Abermals seufzte Maimonas und zuckte zusammen, als plötzlich der erste laute Donnerschlag ertönte.
»Allahu akbar! Der Wesir berichtete dem Sultan davon, der in lautes Wehklagen ausbrach. Ihm soll das Wasser im Mund zusammengelaufen sein, als er die schöne Daraya zum ersten Mal gesehen hat. Der Sultan schwor, dass er sich die Frau zurückholen würde. Und ab jetzt beginnt die Geschichte ziemlich vertrackt zu werden.«
Die Männer eilten die Treppe hinunter und fanden kurz darauf in einem Säulengang Schutz vor dem Unwetter.
»Der Sultan will also Daraya zurück?«, erkundigte sich Chalid, der Schwarzgekleidete.
»Er will sie nicht nur zurück, sondern auch in seinem Sommerpalast in Ägypten empfangen und sich dort mit ihr der ungezügelten Lust hingeben.« Der Eunuch zuckte beim nächsten Donnerschlag erneut zusammen. »Bist du der richtige Mann, um Daraya aus dem Palast des Emirs von Jerusalem zu entführen und dorthin zu bringen?«
»Ich bin der richtige Mann, o Maimonas. Aber es ist nicht einfach, dauert lange und kostet einiges. Es sind viele und beschwerliche Tagesritte bis zum Palast des Sultans in Ägypten!«
»Scheue keine Mühen und keinen Preis. Was es kostet, ist unwichtig. Aber es sollte bald geschehen.«
»Inshallah. Ich treffe dich wieder.«
»Am selben Ort«, der Eunuch deutete über die Schulter zur Treppe, »in einer Woche.«
Chalid nickte und legte entschlossen die Hand um den Griff des Krummschwerts. »In sieben Tagen. Dann kann ich dir mehr sagen.«
Er verbeugte sich knapp und ging mit klingelnden Sporen durch den Säulengang davon. Maimonas blieb stehen, sah ihm mit fragendem Blick in den Augen hinterher und ging dann gemächlich in dieselbe Richtung davon.
Uthman ging nun schneller und sah, wie Händler hastig ihre Stände räumten und Handwerker ihre Werkzeuge von der Straße ins sichere Innere der Häuser schleppten. Bettler flüchteten hinkend in dunkle Eingänge. Aus allen Richtungen schwirrten Vögel in ihre Nester; Taubenschwärme suchten Schutz unter Giebeln und in Taubentürmen. Unzählige Fensterläden schlossen sich klappernd in der zunehmenden Dunkelheit.
Noch hatte es nicht geblitzt, aber der Donner kam näher, wurde schärfer und lauter und brach sich als vielfältiges Echo an den Mauern der engen Gassen. Am Ende einer Treppe hatte Uthman wieder freie Sicht nach Westen, und gerade, als er die richtige Quergasse suchte, blendete ihn ein gewaltiger Blitz, der von Nord bis Süd durch die gesamte dunkle Wolke zuckte. Er schloss die Augen und hielt sich die Ohren zu.
Drei Atemzüge später erschütterte ein ungeheuerlicher Donnerschlag die Luft und den Boden. Rings um Uthman ertönten Schreckensschreie. Uthman ging schnell weiter, umrundete einen Platz und hörte über sich das Rauschen der Baumkronen. Losgerissene Blätter und Zweige und Nester wirbelten durch die stickige Luft. Zwei Dutzend Schritte weiter, am Eingang zur Gasse, in der sein Haus stand, traf ihn die erste Sturmböe, die eine Staubwolke durch die engen Mauern hindurchpeitschte. Er stemmte sich gegen den Sturm und begann zu laufen.
»Das wird die Mutter aller Unwetter«, knurrte er und hastete weiter. Als er bei seinem Haus angekommen war, klopfte er kräftig an die Tür und hielt sie fest, denn als Mara öffnete, drohte der Sturm, ihr die Tür aus den Händen zu reißen.
»Schnell hinein. Der Regen wird alles fortspülen«, sagte er drängend und half der alten Haushälterin, die schwere Tür zuzudrücken und zu verriegeln. In der Gasse begann der Sturm, zu heulen und
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