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Der Kaiser des Abendlandes

Der Kaiser des Abendlandes

Titel: Der Kaiser des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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zu wimmern, dann wurde es plötzlich still, und Staub drang durch alle Ritzen.
    »Uthman, hilf uns. Auf dem Dach müssen wir alles wegräumen«, sagte Mara. »Sean ist schon oben.«
    Uthman lief die Stufen hinauf und packte mit an. Sie kippten den Tisch, den Sean schon abgeräumt hatte, zur Seite, trugen Stühle und Hocker hinunter, rollten die Teppiche zusammen und schoben die Tonschalen mit den Zierbäumchen in eine Ecke. Mara lief im Garten umher und rettete trocknende Tücher. Es war dunkel geworden wie am frühen Abend. Die Gewitterwolke überspannte die gesamte Stadt, nur im Osten blieb über den Hügeln ein schmaler Streifen blauen Himmels frei. Wieder flammte ein Blitz auf, einen Atemzug später krachte der Donner.
    Der Sturm tobte los. Noch war er kochend heiß und trieb den Menschen den Schweiß aus der Haut. Im Widerschein der Blitze sahen Sean und Uthman vom Dach aus, wie sich von zahllosen Stellen der Stadt aus gelbliche Finger zum Himmel hoben und zu einer riesigen Staubwolke vereinigten, die in den Donnerschlägen zu erzittern schien.
    »Allah zürnt den Bewohnern von Jerusalem«, rief Uthman in der kurzen Pause zwischen zwei Donnerschlägen. »Er wird die Stadt im Regen ertränken, Sean.«
    »Hier auf dem Dach brauchen wir nicht zu schwimmen«, sagte Sean.
    Er schien sich an seine frühe Jugend zu erinnern, in der er jedes Gewitter gefürchtet hatte, obwohl er von Blitz und Donner begeistert war. Noch während sie staunend die Staubwolke bewunderten, kühlte sich der Sturm binnen weniger Atemzüge ab. Erste Tropfen, unsichtbar, aber riesenhaft, schlugen wie Geschosse auf die Bodenfliesen und zerplatzten. Das Schattendach aus trockenen Palmwedeln begann zu knattern.
    Dann, während einer fast ununterbrochenen Folge von Blitzen und dem Krachen des Donners, der ein, zwei Lidschläge nach dem Blitz tobte, wurden die Tropfen zahlreicher. Zuerst waren sie fast waagrecht gegen alles geprallt, das sich ihnen entgegenstellte, aber jetzt kamen sie schräg aus dem schwarzen Himmel. Die Staubwolke dünnte sich aus und zog unendlich langsam ab. Mitten im tobenden Gewitter begannen sich die Wolken zu leeren. Die Tropfen fielen dicht wie Wassergüsse und ließen den Menschen keine Luft mehr zum Atmen.
    Sean und Uthman sprangen unter dem triefenden Palmwedeldach hervor, hinunter auf die Stufen, und von dort aus stemmten sie die Falltür hoch und ließen sie über sich zufallen. Dann tasteten sie sich ins Erdgeschoss, setzten sich unter das massive Vordach und blickten in den dunklen Garten.
    Zuerst spülte der heftige, warme Regen, der sich stetig abkühlte, den Staub vieler regenloser Monate von allem, was da war. Von den Dächern liefen bald schenkeldicke, gelbliche Rinnsale plätschernd in die Gassen und in die Gärten. In den Gassen und auf den Plätzen sammelte sich das Wasser, stand binnen weniger Atemzüge knöchelhoch, weichte den Unrat auf und folgte dem Gefälle der Treppen und Wege. Sand, Staub und Abfall wurden aus den Winkeln gerissen und strudelten durch die Gassen, in denen das Wasser stetig stieg und flüchtende Stadtbewohner mit sich riss.
    Aus schmalen Rinnsalen wurden Bäche. Keller und Gewölbe, die nicht durch Mauern oder hohe Schwellen gesichert waren, begannen voll zu laufen. Ohne Unterlass schlugen Blitze, scheinbar wahllos und mit schrecklichem Glanz, in hohe Mauern, Türme oder Bäume ein. Ganz Jerusalem schien unter den krachenden Donnerschlägen zu zittern und zu beben. In den stürzenden Wasserfluten hatten sich die Staubwolken aufgelöst und waren zu reißenden Bächen geworden, die durch die Gassen schossen, in die Frischwasserkanäle stürzten und sich an einigen Stellen von den Resten der Stadtmauern in die Tiefe ergossen. Die halb ausgetrockneten Wadis der Bäche, die sich außerhalb Jerusalems durch grünes Land und felsige Einöden wanden, füllten sich, und binnen kurzem ertranken zahlreiche Menschen und Tiere in den plötzlichen Fluten.
    Für Gras, Moos, Sträucher, Beerenranken und Palmen, Granatapfelbäume, Nussbäume und Palmen war die Flut aus den Wolken wie ein göttlicher Segen. Das Erdreich tränkte sich. Die Regengüsse peitschten gegen Felsen, rannen in gelblichen Schlieren daran herunter und versickerten im Sand. Die Gassen und Plätze der gesamten Stadt waren in schmale oder breite reißende Sturzbäche verwandelt worden. Abfall, Unrat und tausend Dinge, die das Wasser mitgerissen hatte, bildeten an engen Stellen Wälle, an denen sich das Wasser staute.
    Die Blitze

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