Der Kaiser des Abendlandes
dem er einen der tausend Nebenarme der Rhône vermutete.
Haupthaar und Bart wuchsen, seine Haut bräunte sich, und er strich Öl aus gepressten Nüssen auf die Arme, den Nacken und die Schultern. Sein Französisch verstanden die wenigen Menschen, die er traf, aber sie redeten in einem anderen Dialekt. Sie wiesen ihm den Weg, bis er am selben Tag das Meer erreichte und die Berge sah, die Marseille überragten.
Es war leicht, den Hafen zu finden. Er war kaum größer als der von Aigues-Mortes. Elazar ließ sich den Weg zu einem Bader zeigen, der seinen Bart schor und das Haar kürzte. Er kaufte ein gebrauchtes, aber frisch gewaschenes Hemd und wanderte an der Reihe der festgemachten Schiffe entlang. Ein alter Fischer erklärte ihm, welche Landesfahnen das eine oder andere Schiff führte. Später sah Elazar zu, wie ein Schiff aus Venedig entladen wurde.
Abermals hatte er Glück, als er in der Taverne ein karges Mahl zu sich nahm. Am Nachbartisch hockte ein sichtlich betrunkener Schiffer, der mit einem jungen Mann sprach. Elazar hörte zu, ohne es zu wollen, und verstand mühsam, dass der Kapitän, Piero Bicci, seinen Lademeister im Sturm verloren hatte. Und jetzt fehlte dem Schiff ein Mann, der lesen, schreiben und rechnen konnte.
»Verzeiht, Monsieur le Capitan«, wandte sich Elazar an den Kapitän, »Ihr sucht, wie ich hören konnte, einen Mann, der rechnen kann? Das kann ich wohl. Außerdem schreibe und lese ich Französisch und Deutsch ebenso, und wenn Ihr es mit Juden zu tun hättet, könnte ich Euch auch helfen.«
Der Kapitän stierte ihn an, nickte und stürzte den Wein hinunter.
»Wie heißt du?«
»Elazar, Monsieur. Ich komme aus Deutschland.«
»Komm morgen zur ›Ring des Dogen‹.« Der Kapitän wandte sich an seinen Begleiter und rülpste. »Schreib dir seinen Namen auf. Mein Schiff geht nach Neapel, dann nach Madona.«
Elazar verbeugte sich und antwortete: »Ich will nach Jerusalem. Irgendwann. Ich habe keine Eile.«
»Wirst viel Zeit brauchen. Scheinst ein kräftiger Bursche zu sein.«
»Ich scheue keine Arbeit, Monsieur le Capitan.«
»Morgen! Das vorletzte Schiff, dort hinten.«
»Ich werde dort sein.«
Elazar zahlte und bekam ein einfaches Lager im Schuppen, der nach Fisch stank. Am nächsten Morgen stand er neben der Planke, die an Deck führte. Der Kapitän war inzwischen nüchtern und erinnerte sich noch an ihn. Elazar bekam einen Schlafplatz auf Taurollen und gefüllten Säcken. Er brauchte nichts zu zahlen, dafür sollte er den Händlern, für die der Kapitän segelte, Listen zusammenstellen und Preise errechnen. Auf den Heckplanken, über die sich ein Leinwandsegel spannte, drückte Kapitän Bicci Elazar eine dicke lederne Mappe in die Hand.
»Sieh dir alles gründlich an. Wenn du etwas nicht verstehst – frag mich oder den Jungen dort.« Er deutete auf den jungen Mann, der in der Hafentaverne neben ihm gesessen hatte. »Wo willst du hin?«
»Nach Jerusalem im Heiligen Land.«
»Ich segle nur bis Zypern«, knurrte Piero Bicci. »Aber dort gibt’s viele Schiffe nach Akkon oder Jaffa oder Askalon.«
Elazar verstaute seine wenige Habe unter Deck. Sein Geld war nach wie vor in die Stiefelsäume und den Gürtel eingenäht. Er setzte sich im Schatten auf die Planken und versuchte die Eintragungen zu entziffern. Später bat er um Schreibzeug und Tinte und verwünschte seinen Vorgänger.
Dieser hatte eine Schrift, die nur schwer zu entziffern war, und schon nach einer Stunde hatte Elazar drei Rechenfehler entdeckt. Er brauchte dazu keinen Abakus. Er zeigte dem Kapitän, der das Entladen und Beladen des Schiffes überwachte, seine Korrekturen.
Piero Bicci starrte verständnislos die Blätter an, holte seinen jungen Steuermann herbei und brummte: »Kann schlecht lesen. Meine Augen. Rede mit ihm darüber.«
»Das werde ich.«
Zwei Tage später legte das Schiff ab. Fünf Wochen würde die Überfahrt nach Zypern dauern, hatte der Steuermann gesagt. Als das Land im Dunst des Küstennebels verschwand, wurde es Elazar zum ersten Mal übel; er glaubte wieder einmal, sterben zu müssen.
Am späten Vormittag, auf dem Tempelberg
Suleiman blieb stehen, zupfte Sean am Ärmel und deutete auf ein Gebäude, das mehr einem wuchtigen Tempel als einem Wohnhaus glich.
»Dort drüben, das ist der Stadtteil Scheich Jarrah«, sagte Suleiman. »Ein Bezirk, den du noch nicht kennst. Ich werde dir zeigen, wie es dort aussieht.«
»Gern«, antwortete Sean und betrachtete die Häuser. Der
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