Der Kaiser des Abendlandes
Anteil des reinen Gewinns ist bei Schwertern zweifellos höher als bei gemahlenen Gewürzen. Bald wirst du mehr Reichtum angehäuft haben als der Sultan.«
Abu Lahab vollführte eine langsame Geste des Bedauerns. In einem verirrten Sonnenstrahl blitzten und funkelten die Ringe an seiner rechten Hand. »Nichts ist flüchtiger als Reichtum. Ich will nicht unter der Last von viel Gold ins Paradies kommen, sondern im Glanz meiner Tüchtigkeit und meiner Macht. Das ist es, o Bruder von Kardamom, Muskat, Zimt und Rosmarin.«
»Es möge kommen, wie du sagst, Abu Lahab. Ich warte auf das Wunder, und Allah ebne deinen Weg zum Ruhm.«
»Ich danke dir, Bruder.«
Abu Lahab stolzierte zwischen den ausgebreiteten Gewürzen aus dem Laden hinaus in den Mittelgang, winkte leutselig und brauchte nicht lange zu überlegen, welchen Händler er als Nächsten aufsuchen würde. Er entschied sich, den Bäcker der Fladenbrote und Süßigkeiten zu besuchen. Jeder der beiden Händler würde das Gerücht und die Versprechungen unters Volk bringen.
Abu Lahab nahm mit spitzen Fingern ein Honigbrötchen aus dem Körbchen, das mit Mandeln, getrockneten Weinbeeren, Honig und Nüssen gebacken und mit einer Kruste aus geriebenen Nüssen verziert war, biss hinein und rief undeutlich: »Welch eine Köstlichkeit, o Yusuf! Salaam! Ich besuche dich nicht so sehr wegen deiner gebackenen Köstlichkeiten – ich schätze sie seit Jahren! –, sondern, um dir eine Mitteilung von höchster Wichtigkeit zu machen.«
Der Bäcker rieb Mehl und Teigreste von seinen Fingern, begrüßte Abu Lahab und antwortete: »Vor zwei Jahren hast du zum letzten Mal bei mir eingekauft, Abu Lahab. Treiben dich jetzt grauenhafte Hungerqualen an meinen Ofen zurück?«
»Ich habe unzählige Male meine Diener zu dir geschickt. Schwerer beladen als Lastkamele sind sie mit deinen Köstlichkeiten zurückgekehrt. Noch nie haben meine alten, löchrigen Zähne auf Kohle, Steinchen oder Knochen in deinem Backwerk gebissen. Aber ich bin hier, um dir ein Geheimnis anzuvertrauen.«
»Kaue gut, schluck’s runter und rede, o viel gepriesener Schmied der Schwerter.«
Und so erzählte Abu Lahab dem Bäcker das Gleiche, was er kurz zuvor schon dem Gewürzhändler erzählte hatte. Mit wachsendem Staunen, halb ungläubig und halb erwartungsvoll, hörte der Meister der Backwaren zu, stellte Zwischenfragen und schüttelte immer wieder den Kopf.
Einige Zeit später rief der Bäcker Abu Lahab nach: »Wa aleykum as-Salaam, Abu Lahab. Mögen alle deine glanzvollen Pläne in Erfüllung gehen.«
»Sieh zum Himmel! Beim nächsten Halbmond wirst du erleben, was ich nur andeuten durfte.«
Zufrieden ging Abu Lahab weiter und dachte daran, dass Abdullah und dessen Männer die gerüchteweisen Versprechungen und Andeutungen überall in der Stadt ausstreuten. Sie würden alle vor ihm auf den Knien liegen und seine Weisheit, seine Voraussicht und seinen Erfolg bejubeln. Es würden die Menschen zusammenlaufen, Sprechchöre und Gesänge anstimmen und ihn lobpreisen.
Sean hatte alles Wichtige erzählt und sich mit den Freunden beraten. Nun vermochten sie den alten, listenreichen Abu Lahab viel besser einzuschätzen und erkannten, dass er schwer zu besiegen war. Uthman und Mara brachten von ihren Einkäufen im Souk und von den Gesprächen nach dem Gebet in der Moschee den Widerhall jener Gerüchte mit, die Abu Lahab und Abdullahs Männer seit drei Tagen überall ausgestreut hatten.
Inzwischen war aus dem kleinen Rauchfaden der Gerüchte eine riesige Wolke geworden, die durch die Gassen und Basare kroch und die Bewohner von Jerusalem auf wunderbare Ereignisse vorbereitete.
Suleiman, der gegen Mittag gekommen war, unterstützte Sean. Er versuchte die Freunde davon zu überzeugen, dass Abu Lahab nichts anderes im Sinn hatte, als die öffentliche Unterwerfung des Kaisers zum Islam für sich auszunutzen. Aber noch war Elazar nicht frei.
»Ich war gerade im Haus mit der schwarzen Tür«, erklärte Suleiman. »Dein junger Jude lebt dort, versorgt mit allem, was er braucht. Er liest und lernt. Abdullahs Männer haben ihr Wort gehalten.«
»Und wann kommt er frei?«, erkundigte sich Joshua. Suleiman zuckte mit den Schultern.
»Nicht, bevor mein Vater die Gewissheit hat, dass sich der Kaiser zum Islam bekehrt.«
Henri hob die Hand und zwirbelte seinen Bart. »Dann sollten wir vielleicht einen zweiten Kaiser-Brief schreiben. Sean, alias Nicolaus, soll ihn deinem Vater bringen. Er kennt den Weg und Abu
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