Der Kaiser des Abendlandes
Leidenschaft.«
Suleiman lachte leise und rückte sein Schwert zurecht. Weit und breit gab es keine Anzeichen für einen räuberischen Überfall; auch Sean sah keinen Bettler oder ein anderes mögliches Opfer.
»Er hält dich für einen Mann von großer Kühnheit, der erheblichen Einfluss auf den Kaiser hat«, sagte Suleiman. »Aber es gibt zwei Dinge, die ich fürchte.«
»Dass dein Vater gewalttätig wird?«
»Das ist durchaus möglich – aber nein, wohl eher nicht. Es ist etwas anderes: Schon viel zu lange folgt mir Hasan, wenn ich zu Mariam gehe. Eines Tages wird er mich ertappen. Und dieser Tag wird bald gekommen sein. Und zweitens kann Abdullah meine schöne Mariam außerhalb des Hauses abfangen. Oder wenigstens erfahren, wer sie ist und in welchem Haus sie lebt.«
»Wenn dein Vater Mariam in die Hände bekommt und versucht, sie mit mir zu verheiraten?«
»Das habe ich mir schon vorgestellt«, entgegnete Suleiman, »und mir ist bei dieser Vorstellung alles andere als wohl. Aber da gibt es noch ihren Vater und den Emir. Und das eine oder andere Gesetz der Scharia.«
»Sie würden deinen Vater anklagen und bestrafen.«
»So würde es wohl enden.«
Die Freunde saßen auf der Brüstung eines Daches, das zu einem unbewohnten Haus gehörte und von Trümmern aus Lehmziegeln, Teilen eines verrotteten Palmwedeldachs und einer Menge Abfall bedeckt war. Von ihrem Standort konnten sie, ohne entdeckt zu werden, in zwei lange Gassen hinein- und auf den Platz hinuntersehen. Sie erlebten wieder einmal, wie die Menschen den Tag beendeten, wie sich die Häuser mit Gelächter, Lärm und abendlichen Geräuschen füllten und sich die Straßen leerten. Aus den Kaminen stieg fahler Rauch in die Höhe und kroch über die Dächer dahin. Die Freunde saßen schweigend da und beobachteten scharfäugig die Umgebung.
»Ich frage mich«, sagte Suleiman einige Zeit später, »welche Pläne mein Vater wirklich mit dir hat. Du als Schwerthändler – unvorstellbar.« Er stieß einen Fluch aus. »Du als Gatte Mariams? Ich würde dich erdrosseln.«
»Lass deine Hände bei dir, Suleiman!« Sean klopfte mit dem Handrücken freundschaftlich gegen Suleimans Oberarm.
»Ich erdrossle dich nicht«, scherzte Suleiman. »Ich erschlage dich in einem Anfall rasender Eifersucht.«
Sean ging auf diese scherzhafte Drohung nicht ein. »Das hab ich ihm auch gesagt«, sagte er dann und grinste breit. »Zu meiner Freude kam Layla auf die Terrasse und hat uns bedient. Ihre Augen haben gelächelt. Nur für mich.« Er stieß einen Seufzer aus. »Ich will sie Wiedersehen. Allein!«
»Du gefällst ihr«, sagte Suleiman lachend. »Das ist mehr als nur ihre Begeisterung. Was daraus werden wird – inshallah!«
Sean, dessen Schwert quer über seinen Oberschenkeln lag, zog die Klinge langsam eine Handbreit heraus, schob sie wieder zurück, wiederholte die Bewegungen und sagte langsam, stockend und nach langer Überlegung: »Vielleicht hab ich die falsche Stunde gewählt, Freund Suleiman. Aber seit ich in Al Quds bin, reiht sich ein Abenteuer an das nächste. Es ist so wenig Zeit zum Nachdenken. Ich bin plötzlich ein Teil eines listenreichen Spiels geworden; eine unbedeutende Figur auf einem Schachbrett.«
Suleiman murmelte: »Wird’s ein Abend der Erkenntnisse? Oder die Stunde der Nachdenklichkeit?«
»Mit wem, du verrückter Muslim, soll ich darüber reden? Mit den drei alten Männern im Haus? Mit deinem Vater? Also hör zu und lass deine spöttischen Einwände: Henri hat mich an Sohnes Statt angenommen. Das bedeutet auch, dass ich mir ums Wohlergehen keine Sorgen machen muss – was mir heute noch völlig gleichgültig ist. Ich soll ein kämpferischer Ritter des rechten Glaubens werden wie er. Ich soll mithelfen, drei Religionen miteinander zu versöhnen. Nicht als Kalif oder Oberrabbi, sondern als kleiner schottischer Knappe und Verfolger nächtlicher Diebe. Ich reite nicht im weißen Mantel durch die Heere christlicher Krieger, sondern muss versuchen, solche Männer wie deinen Vater zu betrügen.«
»Das hast du bisher geradezu meisterlich geschafft«, sagte Suleiman ebenso leise. Er ahnte, dass Sean nur mit ihm über seine Sorgen sprach. Er zeigte auf die ersten Sterne, die am Firmament erschienen, und redete leise weiter: »Wir beide sind jung, Sean. Wir fangen klein an. Wir müssen uns versteckt halten und uns vieler Listen bedienen, denn keiner von uns – auch nicht deine drei alten Männer und mein Vater – besitzt wirkliche Macht. Sei
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