Der Kaiser des Abendlandes
zweiten Brief des Kaisers.«
»Was hat das alles mit mir zu tun? Mit uns?«
Während ihrer nächtlichen Streifzüge hatten Sean und Suleiman die Situation besprochen. Abu Lahabs offensichtlicher Plan, Mariam entführen zu lassen und sie dem vermeintlichen kaiserlichen Wesir zur Braut geben, war wahrhaft verwegen! Aber immerhin gab es noch Mariams Vater und den Kaiser, der eine solche Heirat seinem Wesir verbieten würde. Und Sean hatte selbstverständlich auch nie daran gedacht, bei diesem Spiel Ernst zu machen. Auf welche Weise die Freunde Abu Lahab endgültig in die Flucht treiben konnten, wussten sie aber nicht.
»List gegen List«, sagte er. »Unser Plan gegen seinen. Vater hat überall in der Stadt damit geprahlt, dass er an der Seite des Emirs die Huldigungen aller aufrechten Muslime entgegennehmen werde. Also wird der Kaiser des Abendlandes in Jerusalem einreiten, ehe er dir etwas antun kann.«
»Wenn er mich mit Sean zusammenbringt, werde ich wissen, was ich zu tun habe.« Sie setzten sich eng aneinandergedrückt auf die steinerne Brunneneinfassung. »Ich weiß eine Antwort, die selbst deinen Vater erstaunen wird.«
»Was wirst du sagen?«
Sie hob die Schultern und tauchte die Finger ins Wasser. Suleiman versank in ihren grünen Augen, und seine trüben Gedanken wirbelten hilflos umher.
Langsam schüttelte sie den Kopf, strich mit unruhigen Händen ihr langes Haar in den Nacken und flüsterte: »Das werdet ihr alle erfahren, wenn es erforderlich sein sollte. Ich gehe in den nächsten Wochen nicht zum Sprachunterricht, ich werde das Haus nicht einmal verlassen.« Ihre Finger fuhren ziellos durch das Wasser. »Dieser verrückte Abu Lahab wird mich wohl nicht aus dem Haus meines Vaters entführen lassen.«
Suleiman blickte sie verzweifelt an und entgegnete: »Er wird es nicht wagen. In den nächsten Tagen geschieht vieles, woran er nicht gedacht hat. Die Gefährten helfen mir dabei. Du hast recht, es ist besser, du bleibst im Haus, Mariam.«
»Darf ich meinem Vater berichten, was ich von dir erfahren habe?«
»Selbstverständlich. Aber er soll nichts unternehmen. Wenn er einen Rat braucht, soll er zu Henri, Uthman und Joshua gehen. Sie wissen von ihm und natürlich auch von dir.«
Mariam nickte langsam. »Sie wissen alles von uns, Suleiman?«
»Fast alles«, gab er zu. »Und sie werden alles tun, damit wir zusammenleben und uns lieben können. Auch dein Vater wird einverstanden sein. Vielleicht nicht mehr in diesem Jahr, aber schon bald werden wir meinen Vater so beschämen, dass er sich für alle Ewigkeit in seiner Schmiede verkriecht.«
Mariam nahm Suleimans Gesicht in beide Hände, küsste ihn und sagte: »Es fällt mir schwer, das alles zu glauben, Liebster, aber dir vertraue ich. Du wirst einen Ausweg finden.«
Suleiman schloss die Augen. Er hasste die Ungewissheit nicht weniger als die Ränke und Listen, deren er und seine Gefährten sich bedienen mussten. Aber nicht sie waren für dieses gefährliche Verwirrspiel verantwortlich. Abu Lahab in seinem Wahn hatte es angefangen und war nicht einmal vor Mord zurückgeschreckt. Dafür musste er bestraft werden, auch wenn dies sein eigener Sohn machen musste.
Der große, hagere Chalid ibn Nimr saß, ruhig und mit entspannten Muskeln, auf einer der tausend Stufen, die vom Platz des Felsendoms in den tieferen Bezirk der Stadt hinunterführten. Er wartete auf den Wesir Maimonas, den Eunuchen mit den vielen Fingerringen, und er betrachtete scharfäugig die geschäftigen Menschen, die in der Stadt unterwegs waren. Seine Geduld schien unerschöpflich.
Er hatte fast alles getan, um die Entführung und den weiten Ritt nach Ägypten gründlich vorzubereiten. Zwischen Jerusalem und Al Fustat am Nil lag ein weiter Weg. Man musste fast fünfhundert Mal tausend große Schritte tun, um ihn zu bewältigen. Darüber hinaus führte er durch Berge, Wüsten, Gebirge, am Meer entlang, durch glühenden Sand, durch Gebiete, in denen sich tagelang keine Schatten finden würden, von Brunnen zu Brunnen, durch Oasen, die sich in schier endlosen, menschenleeren Flächen versteckten. An der Entführung mussten sich viele Männer beteiligen, die keine Gefahr scheuten und gewohnt waren, große Entbehrungen auf sich zu nehmen. Ein solcher Mann war zweifellos er selbst; ob die einzigartige Daraya diese Strapazen überleben konnte, bezweifelte er.
Das alles würde Chalid dem Eunuchen berichten. Wenn er endlich kam. Denn mittlerweile wartete Chalid schon so lange auf ihn,
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