Der Kaiser des Abendlandes
ihrer Thora. Was willst du mir sagen, Chalid?«
»Mein voller Name lautet Chalid ibn Nimr. Man kennt mich in Ägypten besser als in Jerusalem. Sollte dir oder deinem Freund oder irgendeinem anderen deiner Freunde auf dem Weg zwischen diesen beiden Ländern etwas zustoßen, frage nach mir. Wenn ich kann, werde ich euch helfen so lange ich lebe, im Namen des Sultans.«
Suleiman holte tief Atem, verbeugte sich und legte die Hand auf die Brust. »Ich werde mir deine Worte merken«, antwortete er, »und sie auch meinem Freund Nicolaus übermitteln. Ob uns jemals der Weg nach Ägypten führt, weiß nur Allah.«
»Möge er euch auf all euren Wegen beschützen. Ma’a as-Salama.«
»Auf Wiedersehen, Chalid ibn Nimr«, sagte Suleiman und half dem Reiter in den Sattel des Rappen, der mit den Hufen scharrte. Chalid trabte an, winkte Suleiman noch einmal zu und ritt, die beiden Lasttiere am langen Zügel, in die Richtung der Straße. Dort angekommen, wandte er sich nach Westen. Suleiman legte eine Hand flach über seine Augen und blickte ihm lange nach. Dann ging er zurück ins Haus und streckte sich wieder zwischen den Decken aus.
9
Der zweite Brief
Nachdem Suleiman sein Morgengebet verrichtet hatte, wanderten die Freunde am Kanal entlang zum Teich und durch die Oase. Sie sahen Bauern und Husains Knechte auf den Feldern arbeiten, in den Kamelpferchen und bei der Schafherde. Die Palmen trugen große Bündel reifender Datteln und raschelten im heißen Mittagswind. Am Rand der grünen Fläche standen kleine Hütten aus Riedgeflecht, mit dicken Dächern aus Stroh oder Palmwedeln. Der Rauch einiger Feuer durchzog die Wäldchen der Obstbäume. Nachts war eine Kamelkarawane eingetroffen, deren Tiere friedlich weideten; die Männer schliefen wohl noch.
»Wir brechen am besten morgen früh auf«, schlug Sean vor. »Auf keinen Fall später. Ich weiß nicht, warum, aber ich bin unruhig.«
»Ich wollte gerade dasselbe sagen«, gestand Suleiman. »Warum ich unruhig bin, weiß ich genau. Mariam, Elazar und meines Vaters Ränke.«
Langsam gingen sie zu ihren Pferden, die in ihrem Pferch grasten. Husains Knechte hatten die Tiere gewaschen und gestriegelt und die Kletten und Zecken aus den Mähnen und Schweifen gekämmt. Suleiman und Sean vergewisserten sich, dass alle Hufeisen fest saßen, und prüften Fesseln und Fell der Tiere.
Als Sean die kleine Ziegenherde bemerkte, sagte er: »Wir sollten Husain einige Wasserschläuche abkaufen. Was mir aufgefallen ist: Sie haben lange miteinander geredet, Husain und Chalid.«
»So ist es. Chalid ist mehr, als er zu sein vorgibt«, antwortete Suleiman. »Ein Mann, mit dem ich keinen Streit haben möchte. Er ist vermutlich noch härter und rücksichtsloser als mein zwielichtiger Freund Abdullah.«
»Ich glaube nicht, dass wir ihn Wiedersehen werden«, sagte Sean. »Unsere Pferde haben sich erholt. Sollen wir wieder in diesem Felsenkessel Rast machen?«
»Ich kenne keinen besseren Platz.«
»Wie erklären wir, dass wir mit zwei Pferden mehr zurückkommen?«
»Wir erzählen die Wahrheit«, sagte Suleiman und lächelte. »Und wir hoffen, dass uns niemand überfällt.«
Sie dachten im gleichen Augenblick an Chalid ibn Nimr, der noch einen sehr weiten Weg vor sich hatte und es wagte, allein zu reiten. Allah schien bisher mit ihm gewesen zu sein, dachten sie, denn an seinem Körper hatten sie nur Sehnen, Muskeln und gebräunte Haut gesehen, aber keine Anzeichen großer Verwundungen.
»Das hoffen wir«, sagte Sean und kraulte seinen Rappen zwischen den Ohren. »Und jetzt werde ich mich einem tiefen Mittagsschlaf hingeben. Träum du von Layla!«
»Woher weißt du, dass ich das vorhatte?«, entgegnete Sean mit einem verlegenen Lachen. »Ich schwöre dir: Ich werde sie Wiedersehen und mit ihr noch viele schöne Stunden verbringen. Lange und leidenschaftliche Augenblicke, Tage und Nächte. Und ich werde ihr liebliche Lieder auf meiner Flöte vorspielen.«
Suleiman lachte rau. »Inshallah!«
Die wenigen Ochsengespanne waren sehr langsam unterwegs. Auch die Karawanen hoch beladener Kamele waren nicht viel schneller. Die Eselsführer und ihre trippelnden Grautiere bewegten sich kaum schneller als ein erschöpfter Wanderer durch den Staub der Straße. Sean und Suleiman dachten nicht daran, sich einer dieser Gruppen anzuschließen. Schon binnen Kurzem überholten sie zahlreiche Menschen, die nach Jerusalem unterwegs waren.
Gelegentlich ließen sie die Pferde im Schritt gehen,
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