Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kaiser des Abendlandes

Der Kaiser des Abendlandes

Titel: Der Kaiser des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
Vom Netzwerk:
deutete auf den Proviant und legte die Hand auf den Schwertgriff.
    »Iss und trink, aber lass mir noch etwas übrig. Ich bin unruhig.« Er sah zum Felsspalt hinüber. »Ich schütze uns vor dem Heer der nächtlichen Räuber.«
    Suleiman nickte und riss ein kaltes Fladenbrot in zwei Hälften.
     
     
    Am späten Nachmittag erreichten Sean und Suleiman nach einem anstrengenden Ritt die ersten Häuser und Gassen Jerusalems. Kurz bevor sie die Stadt erreichten, hatten sie entschieden, nicht zur Schmiede, sondern zu Abu Lahabs Haus zu reiten. Sean hoffte, Layla dort wiederzusehen, und war, ebenso wie Suleiman, von einer Unruhe erfüllt, die ihn dazu drängte, die ganze Angelegenheit mit Abu Lahab und dem Kaiser des Abendlands so schnell wie möglich zu beenden.
    Als die beiden jungen Männer das Tor in der Umfassungsmauer erreichten, sprang der alte Sklave, der diesmal nicht schlief, in die Höhe, riss das Tor auf und packte die Zügel der erschöpften Pferde. Überrascht musterte er die staubbedeckten Reiter, die ächzend aus dem Sattel glitten, und verbeugte sich vor Suleiman, dann, nach einigen erstaunten Blicken, vor Sean.
    »Ist mein Vater zu Hause?«, fragte Suleiman. »Wir haben eine dringende Botschaft für ihn.«
    »Jawohl, junger Herr«, lautete die Antwort. »Wohin soll ich die Pferde bringen?«
    »Bring sie zum Brunnen«, sagte Suleiman und deutete auf einen Punkt in der Mitte des Gartens. »Lass sie dort saufen, bringe sie dann in den Schatten und nimm ihnen das Zaumzeug ab.«
    Der zahnlose Alte verbeugte sich noch einmal. Suleiman und Sean schnallten die Satteltaschen ab und warfen sie über die Schultern; dann führte Suleiman Sean ins Vorderhaus.
    »Und vergiss nicht: Ab jetzt bist du wieder Nicolaus«, flüsterte er.
    »Natürlich «, antwortete Sean.
    Hinter ihnen schloss sich die breite Tür des Empfangsraums. Suleiman klatschte in die Hände. Von seinen Handschuhen stieg Staub auf; langsam streifte er sie ab und ging weiter, bis zu den hohen Türen zur Terrasse. Noch ehe er sie erreichte, flogen sie auf, und Abu Lahab stürmte herein. Er breitete die Arme aus, als wisse er, was im Brief geschrieben stand.
    »Saalam! Willkommen, mein Sohn. Und auch dir ein herzliches Willkommen, Wesir Nicolaus. Was habt ihr mir mitgebracht?«
    Sean verbeugte sich, ließ die Satteltasche von seiner Schulter gleiten und öffnete sie.
    »Vor sieben Tagen besuchte uns ein Sufi-Schüler und sagte mir, dass in der Oase Madina el-Ramla ein Brief vom Kaiser des Abendlandes an dich, Effendi, wartet. Suleiman hat mich auf dem Ritt begleitet und beschützt. Husain, der Fürst der Oase, gab uns diesen Brief, und tatsächlich kamen wir, ohne überfallen zu werden, auf schnellstem Weg zurück.« Er zog den unversehrten Umschlag hervor und setzte die Taschen ab. »Hier ist das zweite Schreiben des Kaisers an dich, o Abu Lahab.«
    Abu Lahab packte Suleiman und Sean an den Handgelenken und zog sie auf die Terrasse hinaus. Dort rief er nach seinen Dienern und ließ Rosenwasser, Tücher, Getränke und verschiedene Spezereien herbeibringen. Suleiman und Sean setzten sich auf mit Kissen gepolsterte Steinquader. Abu Lahab fieberte geradezu vor Aufregung und Neugierde, als Sean den Umschlag hochhob.
    Suleiman lehnte sich zurück und umfasste die Knie mit den Händen. Sean sah aus dem Augenwinkel, dass er seinen Vater ebenso scharf beobachtete wie ihn. Eine Zeit lang schwirrten zahlreiche Diener und Dienerinnen um den Tisch herum. Abu Lahab sah zu, wie Suleiman und Sean ihre Gesichter und Hände mit rosenwassergetränkten Tüchern reinigten. Er rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her. Sean leerte einen großen Becher verdünnten Fruchtsaft, und nachdem er sich die Hände abgetrocknet hatte, öffnete er den Umschlag.
    »Du wirst mir wieder helfen müssen, Suleiman«, sagte er, während er das schwere Papier entfaltete. »Auch dieser Brief ist in hebräischen Lettern geschrieben.«
    Suleiman stellte sich hinter den Freund und blickte ihm über die Schulter. Dann lasen er und Sean, der den Text fast auswendig kannte, abwechselnd daraus vor: »Im Namen Allahs, des Allerbarmers. Der Kaiser des Abendlandes schreibt seinen zweiten Brief an Effendi Abu Lahab zu Jerusalem. Mein Wesir Nicolaus wird ihn überbringen. Ich habe die freundlichen Worte diktiert und auf sichere Weise durch geheime Boten zu der Stadt des Sandes bringen lassen.«
    »Ein kluger Mann, dieser Kaiser«, sagte Abu Lahab. »Du hast mit meinem Geld das Richtige angefangen,

Weitere Kostenlose Bücher