Der Kaiser des Abendlandes
angegriffen wurde. Ich nicht, meine Männer nicht und auch sonst niemand. So viel Gold hast du nicht, Effendi. Glaub’s mir. Die Juden und die Christen sind durch das Gesetz geschützt.«
Flüchtig dachte Abdullah an Suleiman, der mindestens zwei Christen und einen Juden zu seinen Freunden zählte und ihn, Abdullah, nachdrücklich vor weiteren Gewalttaten gewarnt hatte. Er schüttelte wieder den Kopf, dieses Mal viel heftiger, und sagte: »Dein Sohn würde dich beim Emir melden. Ich müsste dem Emir die Wahrheit sagen. Das wäre das Ende deiner Gießerei und deiner Schmiede und all deines Reichtums, Abu Lahab. Vergiss deinen Traum von toten Juden. Dein Reichtum ist groß genug – willst du dich wegen einer Handvoll Golddinare an Allah versündigen?«
Abu Lahab schien einzusehen, dass sich sein Plan kaum verwirklichen ließ. Ihm war bewusst, dass Nadschib und Abdullah ihn nicht ohne Grund vor seinem Vorhaben warnten. Beide Männer genossen sein Vertrauen, ja, sie waren so etwas wie seine Freunde; schon vor vielen Jahren hatte er ihnen sein Leben und das Wohl seines Besitzes anvertraut. Er senkte den Kopf, betrachtete den Wein im Becher und fragte: »Was würde geschehen, wenn plötzlich eine große Zahl Juden verschwinden würde? Wenn sie einfach unsichtbar werden würden, weil sie zum Beispiel für Monate oder Jahre in irgendwelchen dunklen Verliesen versteckt werden würden? Das würde doch sicher auch der Kaiser des Abendlandes erfahren.«
»Schon möglich«, antwortete Nadschib vorsichtig. Er war froh, dass aus dem reißenden Strom von Abu Lahabs Worten ein, wenn auch gerade Hochwasser führendes, Bächlein geworden war. »Tod ist unwiderruflich. Allah verbietet es, das weißt du so gut wie wir. Aber im Koran steht nichts über das Einkerkern von Juden geschrieben.«
Nadschib verzichtete darauf, die näheren Umstände zu erläutern, unter denen Mord und Gefangennahme nicht oder zumindest nicht ausdrücklich verboten waren, denn er sehnte ein rasches Ende dieses Gesprächs herbei. Abu Lahab hatte nicht so viel getrunken, dass er nicht mehr wusste, was er sagte. Er trank zwar Wein, obwohl der Prophet ihn nur Kranken und Genesenden erlaubte, aber nie zu viel. Es war ein inneres Fieber, das ihm diese wirren Träume eingab. In Wirklichkeit fürchtete Abu Lahab jeden Schmerz, ging jeglichen Handgreiflichkeiten aus dem Weg und behandelte seine Diener, Dienerinnen, Sklaven und Verschnittenen gut und gerecht – aber selbst die ausdrücklichsten Einwände vermochten nichts von der Wirkung jenes Dämons zu mindern, der in seinem Herzen und seinem Kopf sein Unwesen trieb.
»Ich werde gründlich darüber nachdenken, und vielleicht kann ich deinen Befehlen bis zu einem bestimmten Punkt gehorchen«, versprach Abdullah halbherzig.
Als habe sich eine Dolchspitze in seine Hinterbacken gebohrt, sprang Abu Lahab auf, hob beide Fäuste und rief: »Und so schnell wie möglich, Oberster Wächter Abdullah, will ich wissen, wo diese Christin – Allah schlage ihre Familie mit schrecklichen Seuchen! – wohnt, was ihr Vater treibt, ob sie Jungfrau ist oder sich meinem verlotterten Sohn schon hingegeben hat und was Suleiman im Haus dieses Christen- und Judenfreunds Uthman ibn Umar zu schaffen hat.«
Abdullah nickte derart ergeben, dass seine Bewegung fast wie eine Verneigung aussah. »Solange ich niemanden erschlagen muss, werde ich es Tag und Nacht versuchen. Schon bald wird dir Erleuchtung zuteil, o Effendi. Allah ist mit den Standhaften.«
Nadschib leerte den Becher und verhehlte nicht, dass er sich äußerst unbehaglich fühlte. Weder er noch Abdullah wohnten in dem weitläufigen, schönen Haus Abu Lahabs, was beide als Vorteil ansahen. Bisher hielten sich Zuneigung und Ablehnung gegenüber ihrem Herrn ungefähr die Waage. Bisweilen allerdings – und heute Nacht war dies wieder der Fall – senkte sich die Schale der Ablehnung gefährlich nach unten. Geschah dies, so war es ratsam, den Becher zu leeren und das prunkvolle Haus schleunigst zu verlassen. Als Abdullah aufstand, erhob sich auch Nadschib.
»Ich warte!«, rief Abu Lahab warnend. Unter dem schwarzen Bart zitterte die Haut seiner Wangen. »Aber ich warte nicht mehr lange. Sieh’ zu, dass du Antworten auf meine Fragen erhältst, und halte mich auf dem Laufenden! Ich ertrage die Ungewissheit nicht länger.«
»Inshallah!«, sagte Abdullah, erinnerte sich an den harten Übungskampf mit Suleiman und den bitteren Wahrheiten, die er dabei erfahren hatte. »Ich weiß,
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