Der Kaiser von China
einmal eine Reise geschenkt. »Und ich stehe zu meinem Wort«, sagte ich, während ich Hemden und Hosen noch einmal neu zusammenfaltete, weil mir langsam die Sachen ausgingen, von denen ich vorgeben konnte, sie einpacken zu müssen. »Gut zu wissen«, sagte Franziska, und jetzt wolle sie besser nicht weiter stören. Sie stand auf, nahm ihre Sonnenbrille ab und blinzelte mich mit kleinen Augen an. »Wann fährrst du denn los?«, fragte sie. »Gleich morgen früh«, sagte ich, und Franziska nickte, das habe sie sich fast schon gedacht.
Dass ich mich melden solle, sobald ich zurück sei, sagte sie dann an der Tür, und ich sagte: »Selbstverständlich«, und Franziska setzte die Sonnenbrille wieder auf, strich mir kurz über den Arm und ging. Nach ein paar Schritten drehte sie sich noch einmal um. »Gute Reise«, sagte sie. »Und grüß deinen Großvater von mir.« Und zumindest das hätte ich wirklich gerne noch getan.
Ich habe meinen Großvater selten, wahrscheinlich sogar nie so glücklich erlebt wie während der anderthalb Jahre, in denen Franziska meine letzte Großmutter war. Schon beim ersten Abendessen damals strahlte sein Blick die ganze Zeit zwischen ihr und uns Enkeln hin und her, »Ist sie nicht großartig?«, fragte er, als Franziska einmal kurz auf die Toilette verschwand, und wir nickten aufrichtig und nicht nur, weil mein Großvater zum ersten Mal unsere Meinung zu einer seiner Frauen eingeholt hatte.
In den Wochen danach sah man ihn fast pausenlos lächeln, ständig erzählte er uns irgendetwas, was Franziska gesagt hatte, was Franziska getan hatte, was er mit Franziska am Abend zuvor erlebt hatte oder was er durch Franziska erst über sich erfahren hatte, ständig suchte er in diesen Wochen auch körperlich Kontakt zu uns, er strich uns übers Haar, er nahm uns in den Arm, er massierte uns den Nacken, manchmal streichelte er uns so ausführlich über den Oberschenkel, dass man davon ausgehen musste, er sei mit den Gedanken bei einem anderen Bein.
Auch emotional schien er beschlossen zu haben, uns näherzukommen . »Sag mal, wie geht es dir denn eigentlich?«, fragte er oft unvermittelt und schaute dabei so vertraulich, wie es ihm möglich war. Und wenn man daraufhin »Gut« sagte oder »Ganz okay«, nickte er zufrieden. »Schön«, sagte er dann. »Das ist mir wirklich wichtig.«
Ob ihnen das alles nicht auch langsam etwas zu viel werde, fragte ich irgendwann meine Geschwister, und sie taten erstaunt. »Warum?«, fragten sie, es sei doch eine Freude, ihn so zu erleben. »Franziska tut ihm einfach gut«, befanden sie einhellig.
Wir fragten uns nur alle, außer Großvater selbst, was Franziska von ihm wollte, was sie in ihm sah, womit er sie, seien wir ehrlich, verdient hatte. Denn natürlich konnte man meinen Großvater charmant finden, man konnte ihn unter Umständen sogar witzig finden, zuweilen war er klug und, ob er es nun wollte oder nicht, erfahren. Und natürlich sah er für sein Alter erstaunlich gut aus, das ließ er sich von jedem, den er traf, bestätigen, für sein Alter war einiges an ihm erstaunlich, aber das Alter selbst war es mittlerweile auch, und von Franziskas Alter so weit entfernt, dass sich Fragen stellten.
Deshalb hatten wir Franziska anfangs auch genau beobachtet, alle jüngeren Großmütter hatten wir beobachtet, und meist lag die Erklärung schnell auf der Hand. Doch Franziska wies keine nennenswerten Entstellungen auf, sie sprach weder mit Engeln wie eine ihrer Vorgängerinnen noch ausschließlich Malaiisch wie eine andere. Keine Verzweiflung sprang einem ins Auge, keine besorgniserregenden Komplexe konnten unterstellt werden, nichts an ihr konnte also zunächst erklären, warum um Himmels willen sie sich mit einem so viel älteren Mann abgab. Das ohnehin nicht gewaltige Vermögen meines Großvaters hatten die vorherigen Großmütter längst aufgebraucht, auch dar an lag es also diesmal nicht.
Erst später, nachdem ich das wenige von Franziskas Leben, das sie preisgab, erfahren hatte, nachdem ich die Rasanz kennengelernt hatte, mit der sie sich bewegte, mit der sie redete, ihr Tempo beim Einkaufen, beim Essen, im Straßenverkehr, erst da fiel mir auf, dass Franziska ihrem angeblichen Alter mehr als nur ein paar Jahre voraus war, dass sich ihr Vorsprung täglich weiter erhöhte, mit einer solchen Schnelligkeit lebte sie, dass sie meinen Großvater längst eingeholt haben musste.
Irgendwann viel später hat sie mir einmal ein wenig von ihrer ersten Ehe erzählt. (»Die
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