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Der Kaiser von China

Der Kaiser von China

Titel: Der Kaiser von China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Rammstedt
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Untersuchungshalle herum, von den Neonröhren zu den Schaubildern, von den der Größe nach geordneten Kakteen auf der Fensterbank zum Plastikbuddha, der in der Mitte des Raumes in einem kleinen Springbrunnen thronte.
    Als Großvater endlich an der Reihe war, befühlte der Arzt zunächst seine Stirn und seinen kleinen Finger, er drückte an mehrere Stellen in Großvaters Oberschenkel, Bauch und Brust und maß anschließend den Puls. »Hundert Jahre«, sagte er dann auf Deutsch und klopfte Großvater auf die Schulter. »Mit richtiger Medizin«, fügte er hinzu, schrieb etwas auf einen Zettel und reichte es der wartenden Krankenschwester, die dann mit Großvater in einem Nebenraum verschwand. Ich war nach ihm an der Reihe und wurde ebenfalls an den unterschiedlichsten Stellen betastet, mit dem Ohrläppchen hielt der Arzt sich auffallend lange auf. »Impotenz«, diagnostizierte er schließlich, »leider«, fügte er hinzu und schrieb wieder etwas auf einen Zettel. Dann wurde auch ich in den Nebenraum gebracht, in dem sich hinter einer Theke etliche Regale voller geheimnisvoll beschrifteter Ampullen befanden. Die Krankenschwester reichte mir scheinbar wahllos eine davon und verlangte sechshundert Yuan . Ich lehnte dankend ab, und sie fragte, ob ich denn keine Kinder haben wolle. Dass ich schon genügend hätte, antwortete ich, doch das ließ sie nicht gelten.
    Kinder könne man nie genug haben, und wie vielen armen Mädchen und Jungen ich denn mit meiner Impotenz ein glückliches Leben vorenthalten wolle, fünfhundert Yuan sei ihr letztes Angebot, das müsse mir meine Familie schon wert sein. Ich weigerte mich immer noch, und sie drückte mir die Ampulle fest in die Hand. So sei ich doch nur ein halber Mann, vierhundert Yuan , und ich könnte mir eine neue, junge Frau nehmen und mit der eine bessere Familie gründen, dank der Wundermedizin könnte ich jede Frau bekommen, die ich wolle. Dass ich leider jetzt los müsse, sagte ich, meine vielen Kinder würden langsam ungeduldig. »Dreihundert Yuan «, rief sie mir noch hinterher. »Für den Fortbestand der Menschheit.«
    Draußen wartete Großvater, in jeder Hand eine kleine Ampulle. »Mit echten Tigerkrallen«, flüsterte er mir glücklich ins Ohr. »Auf dem freien Markt gar nicht erhältlich.«
    Als wir vorhin dann zum Bahnhof mussten, zeigte er sich auch mit Peking versöhnt. Er ließ es sich im Hotel nicht nehmen, dem Concierge zum Abschied ein üppiges Trinkgeld aufzunötigen, obwohl ich ihm eingeschärft hatte, so etwas werde hier als Affront aufgefasst. Eine alte Weisheit besagt sogar, jedes angenommene Trinkgeld räche sich später mit dem Verlust eines Zahns, und tatsächlich hielt sich der Concierge sorgenvoll die Wange, als er uns eine gute Reise wünschte.
    Etwas später: Mittlerweile habe ich meine Nudeln bestellen können, und die Zubereitung ging dann wundersam schnell. Während ich aß, setzte sich ein älterer Chinese zu mir an den Tisch. Entschuldigend zeigte er auf die umliegenden Tische, obwohl die allesamt frei waren. Er beobachtete eine Zeit lang, wie ich Euch diesen Brief schrieb, dann wickelte er aus einer Serviette seine Essstäbchen aus und begann sich von meinen Nudeln zu bedienen. Als ich ihn überrascht ansah, lächelte er, pickte ein Stück Huhn aus der Schale und fütterte mich damit. So beendeten wir die Mahlzeit, immer schob er abwechselnd mir und sich selbst einen Bissen in den Mund. Als die Schale leer war, stand er auf, sagte ein paar Worte, die ich nicht verstand, und deutete dabei auf den Brief, dann verließ er den Speisewagen, und auf einmal fühle ich mich sehr allein.
    Ich denke an Euch, viele Grüße,
K.

Franziska kam am frühen Abend, zumindest war ich mir recht sicher, dass es Franziska war, ein paar schwere, schnelle Schritte, dann klopfte es an der Tür, mein Puls schlug übertrieben laut, so laut, dass ich fürchtete, er könnte durch die dünnen Wände des Gartenhauses zu hören sein. Es klopfte noch einmal, dann setzten die Schritte wieder ein, klangen einmal ums Haus herum, bis sie nur wenige Zentimeter entfernt von mir anhielten. Franziska musste nun direkt vor dem Fenster stehen, ich bildete mir ein, das Leder ihrer Stiefel riechen zu können, wahrscheinlich presste sie gerade die Stirn gegen die Scheibe und schirmte ihre Augen mit den Händen ab, und auch ich schaute mich sicherheitshalber im Zimmer um. Soweit ich sah, ließ nichts in ihrem Blickfeld auf meine Anwesenheit schließen, und beinah war ich froh, endlich

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