Der Kaiser von China
Stall von Chauffeuren anlernen wollte.
Hin und wieder rief er uns sogar nachts aus einer Kneipe an, wenn er selbst nach seiner eigenen Einschätzung zu viel getrunken hatte, und ließ uns mit dem Taxi angefahren kommen, um dann ihn und das Auto sicher wieder nach Hause zu bringen, weil er es angeblich in der Früh schon wieder benötigte. Und spätestens nachdem wir, bis auf meine jüngere Schwester, alle schließlich auch den offiziellen Führerschein hatten, fuhr er fast nie mehr selbst, höchstens noch zu ersten Verabredungen mit irgendwelchen Frauen, doch auch da konnte es vorkommen, dass er uns bat, ein paar Stunden lang im Wagen vor dem Restaurant zu warten. »Dann bin ich dir auch was schuldig«, sagte er, und blieb es meist.
Deshalb überraschte es mich wenig, als er am Telefon auf meinen hilflosen Versuch, ihn von seiner Idee abzuhalten, erwiderte: »Du wirst mich natürlich fahren.« Dass ich das auf keinen Fall tun werde, antwortete ich, und mein Großvater sagte: »Bitte.«
Ich bin mir nicht sicher, ob er mich jemals zuvor um etwas gebeten hatte, von als Bitten getarnten Aufforderungen (»Könntest du bitte nicht so schreien«, »Frag mich das bitte nie wieder«, »Mach mir bitte keine Schande«) einmal abgesehen, jetzt sagte er aber tatsächlich: »Bitte«, und auf einmal gab es nichts, was ich darauf erwidern konnte. »Es tut mir leid«, sagte ich dann wahrscheinlich ein paar Mal zu oft, bevor ich auflegte.
Peking, den 17. Mai
Meine Lieben,
heute Morgen sagte Großvater, dass er im Bett bleiben werde, das Essen gestern sei ihm nicht bekommen ( huoguo – ein sogenannter Feuertopf, bei dem man die bestellten Häppchen selbst direkt in der Suppe gart, klassischerweise sind das Lamm, Kohl, Tofu, Kartoffeln, Schlange oder Makake ). Ich solle aber keine Rücksicht nehmen und mir einen schönen Tag machen.
Es fiel mir schwer, mich für ein Ausflugsziel zu entscheiden, alles in Peking klingt so verlockend: Garten der Leuchtenden Vollkommenheit, Garten der Zehntausend Frühlinge, Garten der Hunderttausend Frühlinge, Garten des Ewigen Frühlings. Es gibt das Weiße-Wolken-Kloster, das Kloster der azurnen Wolken und das Kloster des wolkenlosen Himmels. Ich entschied mich, auch auf Grund der Hitze (heute sind es über 30 Grad), für den Sommerpalast, eine riesige Parkanlage voller Pavillons, Tempel, Gärten und Seen. Dort liegt auch das Marmorboot der Kaiserin Cixi . Leider kann es nicht schwimmen, aber das störte die Kaiserin nicht. Sie liebte Marmor, alles musste aus diesem Stein gefertigt sein: Sie aß von marmornen Tellern kleine Törtchen, die mit einer hauchdünnen Marmorschicht überzogen waren; sie ließ sich in einer marmornen Sänfte herumtragen, zwanzig kräftige Sklaven waren dafür nötig, die neben der Sänfte auch noch marmorne Hüte tragen mussten. Sie schlief in einem aus Marmor geschlagenen Bett neben einem mit allen Details versehenen marmornen Mann, den Cixi in ihrem Testament sogar als Thronfolger einsetzen ließ und der in den Wirren des beginnenden 20. Jahrhunderts tatsächlich für zwei Tage lang offiziell das Land beherrschte.
Am Nachmittag kaufte ich am Westende der Luilichang Xijie Geschenke für Euch: Unmengen kopierter DVDs , einen Papierdrachen, einen kleinen sprechenden Buddha (wenn ich die Verkäuferin recht verstand, sagt er: »Der weise Mann wartet auf das Ei, bevor er das Huhn kocht«) und eine Rolex . Ihr könnt das unter Euch aufteilen, wie Ihr wollt, und bedenkt bitte, bevor Ihr Euch beschwert, was ich dafür auf mich genommen habe. Immerzu bedrängten mich mindestens vier Verkäufer, und alle hielten sie mir mit der einen Hand identische Jadeskulpturen unter die Nase und mit der anderen Hand ein Schwert, ohne dass ich ausmachen konnte, ob sie mir das auch verkaufen oder mir damit drohen wollten, hin und wieder kam es zu Duellen zwischen den Verkäufern, um die sich dann sofort ein Haufen Schaulustiger scharte, die anfingen, auf den einen oder anderen Geld zu wetten. Ich nutzte dieses Getümmel jedes Mal dazu, dem Schauplatz zu entkommen.
Zwischendurch versuchte ich, Großvater im Hotel anzurufen, er nahm nicht ab, doch als ich am frühen Abend in unser Zimmer zurückkehrte, saß er in Schuhen und Mantel auf dem Bett (trotz dieser Temperaturen trägt er immer seinen Mantel, wohl um nicht zugeben zu müssen, dass es unnötig war, ihn mitzunehmen). Wo ich denn so lange gesteckt hätte, fragte er, und wir müssten nun wirklich dringend los, um nicht zu spät zu kommen.
Weitere Kostenlose Bücher