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Der Kaiser von China

Der Kaiser von China

Titel: Der Kaiser von China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Rammstedt
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Kühlschrank standen, warum ich ihn eigentlich nie im Krankenhaus besucht hätte. »Ich hatte viel zu tun«, sagte ich schnell, und er schien das gelten zu lassen. »Ich hätte schließlich sterben können«, sagte er trotzdem, und zum ersten Mal sagte er das ohne dieses dramatische Beben in der Stimme, das sonst all seine Aussagen über den Tod untermalte, und ich versuchte zu lächeln. »Du doch nicht«, sagte ich.
    Alle paar Tage besuchte mich Franziska in den kommenden Wochen, meist klopfte sie mitten in der Nacht und fing noch in der Tür an, über meinen Großvater zu schimpfen. Dass er sich am Telefon verleugnen lasse, obwohl sie ihn doch im Hintergrund schnauben hören könne. Dass sein Schnauben sie schon immer wahnsinnig gemacht habe, genau wie seine Art, beim Essen andauernd mit dem Fuß zu scharren, andauernd mit dem Kopf zu nicken, sich andauernd die Nase zu putzen. »Keine fünf Minuten kann dieser Mann still sitzen«, rief sie, und ich nickte, ich nickte zu allem, was sie über meinen Großvater sagte, weil ich hoffte, dass sich das Thema so am schnellsten erschöpfen würde, aber es erschöpfte sich nicht, unentwegt sprudelte mein Großvater aus Franziska heraus, seine Bewegungen, seine Sätze, seine Blicke, seine Kleidung, und ich wartete nickend ab, wie Franziska sich immer weiter erhitzte, und wenn sie sich stark genug erhitzt hatte, hielt es sie nicht länger im Gartenhaus, dann musste sie vor die Tür, dann musste sie unbedingt ins Haus hinübergehen, um sich auch dort über alles Mögliche aufzuregen, die Unordnung, das Mobiliar, das angeblich unpraktisch hoch angebrachte Treppengeländer, auf Zehenspitzen und leise schimpfend führte sie mich jedes Mal bis zum Schlafzimmer meines Großvaters, sie imitierte das Schnarchen, das bis nach draußen zu hören war, sie öffnete sogar die Tür, um sich davon zu überzeugen, das er tatsächlich, wie sie vermutet hatte, auf ihrer Seite des Bettes lag, auf allen vieren kroch sie ins Zimmer und begutachtete abschätzig den Gesichtsausdruck meines Großvaters, das Buch auf dem Nachttisch, die Teilprothese im Wasserglas, und meist winkte sie mich dann zu sich her, zog mir hastig das Hemd über den Kopf, öffnete meine Hose, und dann schliefen wir miteinander.
    Es ging immer sehr schnell, wir hielten uns gegenseitig den Mund zu, ließen beide meinen Großvater nicht aus den Augen, hin und wieder stockte sein Schnarchen, und wir erstarrten kurz, bis es wieder gleichmäßig zu hören war. Aufgewacht ist er, soweit ich weiß, niemals.
    Anschließend beeilten wir uns, wieder zurück ins Gartenhaus zu gelangen. Franziska regte sich dann über nichts mehr auf, im Gegenteil, meist schlief sie sofort ein, und ich lag noch eine Weile wach neben ihr und wusste nicht, ob das Durcheinander wuchs oder abnahm.
    Außerhalb des Schlafzimmers meines Großvaters schliefen wir nie miteinander, auch wenn ich alles versuchte, auch wenn ich Fotos von ihm neben mein Bett stellte, auch wenn ich sein Schnarchen auf Kassette aufnahm und es in geeigneten Momenten abspielte, auch wenn ich Franziska anbot, mir einen Arm auf den Rücken zu binden. »Warum solltest du denn so etwas machen?«, fragte sie und sah mich an, als wolle sie die Antwort lieber gar nicht wissen.

Schanghai, den 21. Mai
    Meine Lieben,
    dass ich Euch nun aus Schanghai schreibe, war nicht geplant. Spät in der Nacht bin ich erst angekommen und war auf Großvater immer noch so wütend, dass ich mir ein Einzelzimmer genommen habe. Ich habe nicht bei ihm geklopft und kann nur hoffen, dass er sich Sorgen um mich macht. Jetzt ist es schon fast vier Uhr morgens, ich sitze in der immer noch gut besuchten Hotelbar und trinke bereits meinen dritten Gin Tonic , wenn man die bei den aus dem Flugzeug mitrechnet, ist es sogar mein fünfter, und dabei wird es nicht bleiben, das steht fest nach diesem ganz und gar missglückten Tag.
    Es fing schon damit an, dass ich heute Morgen viel zu früh in Luoyang aufgewacht bin, vielleicht lag es an der mittlerweile schon ungewohnten Stille, kein Verkehrslärm, kein spontan errichteter Markt vor dem Hotelfenster, keine Reinigungskräfte, die ungefragt schon einmal das Zimmer saugen, während man noch im Bett liegt. Ich beschloss dummerweise, Großvater schlafen zu lassen und mich auf die Suche nach einem Postamt zu machen, um endlich einmal die Briefe an Euch abzuschicken. An der Rezeption konnte man mir nicht wirklich weiterhelfen, der Portier gab mir zwar einen Stadtplan und deutete auf

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