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Der Kaiser von China

Der Kaiser von China

Titel: Der Kaiser von China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Rammstedt
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eine mit dem Bild einer Taube markierte Stelle, die sich aber anhand der Legende und, wie ich nach einem unnötigen Spaziergang herausfand, auch in Wirklichkeit als Hallenbad entpuppte.
    Bei der Touristeninformation mussten sie auf meine Frage hin erst mehrere Telefonate führen, bei denen erstaunlich oft gelacht wurde. Schließlich nannten sie mir aber eine Adresse, so weit außerhalb gelegen, dass sie auf meinem Hotelstadtplan schon nicht mehr verzeichnet war. »Viel Glück«, wurde mir am Ende gewünscht, es klang aufrichtig, also ließ ich die Zettel mit den Busverbindungen liegen und nahm ein Taxi.
    Trotz der frühen Stunde war die Post heillos überfüllt. Anscheinend ist sie in China für eine ganze Reihe von Dienstleistungen zuständig, manche Kunden gaben zwar Briefe oder Pakete auf, manche bezahlten hier aber auch ihre Strom-und Wasserrechnungen, manche verlängerten ihren Pass, und manche ließen, wenn ich es richtig sah, ihre Haustiere impfen.
    Nach einer dreiviertel Stunde war ich endlich an der Reihe, ich legte meine Briefe vor, deutete auf das »Air Mail«, das ich groß unter die Adresse geschrieben hatte, und machte sicherheitshalber mit den Armen noch ein Flugzeug nach. Die Postbeamtin sah mir ungerührt dabei zu, öffnete dann mit einer geübten Bewegung ihres Zeigefingers die Kuverts, nahm die beschriebenen Blätter heraus und hielt sie gegen das Licht. Ein Wort, ich glaube, es war »Mundwinkel«, schien ihre besondere Aufmerksamkeit zu erregen, sie rief zwei ihrer Kollegen herbei, die sich mit ihr über die Briefe beugten, noch auf andere Worte zeigten und zu tuscheln anfingen, dann strahlten sie mich allesamt an, schüttelten mir ausgiebig die Hand und klopften mir auf die Schulter. Einer von ihnen reichte der hinter mir stehenden Kundin sogar sein Handy, um sich beim Händeschütteln mit mir fotografieren zu lassen. Dann sagten sie alle nacheinander etwas zu mir, das sehr feierlich klang, die Postbeamtin stopfte die Blätter zurück in die Kuverts, auf die sie jeweils einen sorgsam ausgewählten Stempel setzte, dann übergab sie mir die Umschläge und wandte sich grußlos der nächsten Kundin zu. Ich suchte vergeblich nach einem weiteren Schalter oder einem Kasten, in den ich die Umschläge hätte werfen können, hilflos stand ich herum, versuchte dann, noch einmal die Aufmerksamkeit der Beamtin auf mich zu lenken, indem ich fragend mit den Briefen wedelte, doch alle eben noch so sprudelnde Freundlichkeit war aus ihrem Gesicht gewichen, ohne aufzusehen wies sie mich mit einem langen Satz zurecht, die Kundin schob mich sogar unwirsch zur Seite, und selbst ihr Hund, dessen dicken Kopfverband sie gerade abwickelte, fauchte bedrohlich. Unter dem Kopfschütteln der Wartenden verließ ich das Postamt, draußen hatte es zu regnen begonnen, kein Taxi war aufzutreiben, ich lief in irgendeine Richtung, mir war gleichgültig, ob es die richtige war, und als mir an einer Kreuzung wieder eine Schar Enten entgegenwatschelte, holte ich mit dem Fuß aus, um eine von ihnen in die Luft zu treten, verfehlte sie aber, die Enten schnatterten mich wütend an und ich schnatterte wütend zurück.
    China setzt einem mehr zu, als man wahrhaben will. Erst fasziniert die Fremdheit noch, dann ermüdet sie, und bald fängt man an, sich nach Dingen zu sehnen wie Kastanien, wie Stromkästen, wie Kinderwagen, all das, was es hier nicht gibt, man will »Entschuldigung« sagen können, man will »Nein, das daneben« sagen können, man will sich auskennen und Straßenschilder verstehen und Gespräche um einen herum ausblenden können, weil man sofort hört, dass es in ihnen um nichts geht. Gar nichts kann man hier ausblenden, alles ist Eindruck, und ich beschloss, während ich wahllos abbog, die Reiseroute zu ändern, die ein oder andere Station zu streichen, Großvater vielleicht sogar zu überreden, ein paar Tage ans Meer zu fahren, in ein Touristenhotel, in dem man sich um nichts kümmern muss, Vollpension, internationale Küche, Wassergymnastik. Ich brauchte eine Pause von China.
    Als ich gegen Mittag vollkommen durchnässt ins Hotel kam, befürchtete ich, auf einen vorwurfsvoll besorgten Großvater zu treffen, doch er hatte das Zimmer bereits verlassen, ein Flugticket lag auf dem Kopfkissen, daneben ein Zettel, auf dem er mir mitteilte, dass er leider nicht auf mich habe warten können, er sei bereits auf dem Weg nach Schanghai und werde mir dort alles erklären. »Bis heute Abend, gute Reise«, stand da noch, darunter hatte

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