Der Kalligraph Des Bischofs.
sich.
Er schob das Tor auf. Vor der Kirche hatte sich eine
|322| Traube von Menschen versammelt, die in wildem Erschrecken durcheinandersprachen. Der Bischof stand mit verschränkten Armen
vor der Tür, scheinbar um sie zu hindern, die Kirche zu betreten. Gerade trat Kanzler Eike mit einer Fackel aus dem Palast
und lief zu den Dienstleuten hinüber.
Nachdem er kurz Stillas Arm gedrückt hatte, hinkte Germunt zur Kirche hinüber. Im Fackelschein sah er, wie blaß der Bischof
war. Ohne Rücksicht drängelte er sich zu ihm durch.
Er sah ihm eine Weile ins Gesicht, dann sprach er ihn an. »Claudius, was ist geschehen?«
Ihre Blicke trafen sich. Es war das erste Mal, daß Germunt Angst in den Augen dieses Mannes sah.
Der Bischof dachte kurz nach. »Ich möchte, daß Ihr in die Kirche geht, Germunt. Kniet vor dem Altar nieder und betet zu Gott.
Dann kommt wieder heraus und sagt mir, ob Ihr seine Gegenwart gespürt habt oder ob er sich von dem Haus entfernt hat.«
Germunt nickte langsam. Auch wenn er überhaupt nichts verstand, er wollte Claudius gehorchen. Der Bischof trat einen halben
Schritt nach vorn, und Germunt schlüpfte hinter ihm in den Kirchenraum, nicht ohne noch einen Schwall erstaunter und ärgerlicher
Rufe der anderen mit sich zu nehmen.
Die Kirchentür fiel in den Rahmen. Germunt wagte es nicht, sich zu bewegen. Sein Blick fuhr die Wände entlang: kahle, rissige
Flächen. Sie trugen tiefe Wunden, aus denen Kalk rieselte. Zwei Engel waren noch zu sehen, knapp unter der Decke. Sie bliesen
ihre Posaunen zum letzten Gericht. Unter ihnen brach das Bild ab, wie eine grobe Klaue langte die kahle Wand hinauf nach dem
kärglichen Rest der Freske, um ihn zu packen und zu zermalmen. Auf dem Kirchenboden häuften sich zertrümmerte Figuren und
Büsten, als wären sie in einem heiligen Krieg übereinander hergefallen. Ein Frauenkopf starrte ungläubig auf eine abgeschlagene |323| Hand, daneben ragte ein Fuß in die Luft. Überall Körperteile. Im Sandstaub lagen silbergefaßte Edelsteine wie achtlos hingeworfen,
daneben Glasscherben und farbige Splitter von der Wand. Wer konnte es wagen, solche Zerstörung in einer geweihten Kirche anzurichten?
Claudius. Passagen aus seinen Schriften zogen Germunt durch den Kopf, Worte wie »Götzen«, »Heidenbräuche«, »totes Holz« und
»steinerne Herzen«. Er mußte seine eigene Kirche vernichtet haben.
An der Stirnseite des Kirchenschiffs bezeugte ein staubschwarzer Schatten die Stelle, an der einmal das Kreuz gehangen hatte.
Es lag zerbrochen am Boden vor dem Altar. Germunt erschauderte. Warum hatte Gott den Bischof nicht gehindert? Warum war kein
Racheengel herniedergefahren, oder wenigstens ein Blitz in den Frevler eingeschlagen?
Hatte Gott mit Wohlwollen auf die Zerstörung in der Kirche herabgeschaut? War es ihm etwa lieb, wenn diese Bilder und Figuren
zu Trümmern geschlagen wurden?
Sie haben ihre Götzen nicht aufgegeben, sondern sie nur umbenannt. Wenn ihr an die Wand schreibt, Bilder von Petrus und Paulus,
Jupiter, Saturn oder Merkur zeichnet, dann sind diese Bilder keine Götter, noch sind sie Apostel, sie sind nicht einmal Menschen.
Der Fehler ist damals und heute derselbe.
Seine Füße suchten sich einen Pfad zwischen den Bruchstücken und Scherben, nach vorn zum Altar. Vor dem zerbrochenen Kreuz
kniete er nieder. Er starrte lange auf den Steinblock, dessen Relief von Ruß geschwärzt war: Christus als Weltenkönig auf
dem Thron. Endlich schloß er die Augen.
Ich soll beten. Claudius möchte wissen, ob Gott hier noch zu spüren ist oder nicht.
»Allmächtiger Gott, unser Vater.« Weiter kam er nicht. Was war, wenn diese Kirche alle Heiligkeit verloren hatte? Wenn Claudius
unwiederbringlich in Sünde versunken war, den Herrn zornig gemacht hatte? Germunt zwang sich, zu sprechen. »Herr, Claudius,
unser Bischof, hat die Bilder dieser Kirche zerstört. Du siehst das Trümmerfeld um mich |324| herum, du siehst selbst deinen Sohn mit Feuer schwarz gefärbt. War das rechtens? Was ist dein Wille?« Ja, was war Gottes Wille?
Ihr seid entsetzt, nicht wahr, Germunt?
Das war Aelfnoths Stimme in seinen Gedanken. Der ruhige, steinalte Klang tat ihm gut.
Ja, ich weiß nicht, was ich denken soll.
Es ist wichtig, Gottes Werk und der Menschen Werk zu trennen.
Wie meint Ihr das, mein Lehrmeister?
Es kam keine Antwort. Germunt stellte sich das Gesicht des alten Mönchs vor, knochig, gelb verfärbt, den Mund mit vereinzelten,
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