Der Kalligraph Des Bischofs.
Gespräch!
Er trat nach einem Knochen, der auf der Straße lag. Den Korb mit den Eiern hatte er am Fuß der Treppe vergessen.
Und was habe ich ihr geboten? Kein Geschenk habe ich ihr mitgebracht, ihr keine Blumen überreicht oder einen Honigkuchen.
Ist es ein Wunder, daß sie ablehnt?
Sollte er eben dort stehen, der verdammte Korb.
Als er sich erinnerte, wie sie ihm die Stirn getupft hatte, wurde er ruhig. Er würde ihr etwas schenken. Vielleicht konnte
es sie umstimmen, und wenn nicht, dann war es sein Abschiedsgeschenk an sie. Wie unbedeutend schien ihm plötzlich die Welt,
all die Geschäfte, das Feilschen um Preise, die Furcht vor den Herren! Dieses blinde Mädchen zu erfreuen war eine so lohnende
Aufgabe, daß alles andere daneben verblassen mußte. Germunt faßte einen Entschluß.
Als er den Marktplatz betrat, fand sein Blick zur wachen, stechenden Sorgfalt zurück, und sein Körper spannte sich wie der
eines Luchses vor dem Sprung. Germunt floß geschmeidig zwischen den Menschen über den Platz. Binnen kurzer Zeit wußte er,
wo die Marktwächter standen, an welchen Buden sich reiche Kaufleute in eigenartigen Dialekten unterhielten, und daß es schlau
sein würde, sich nach dem Diebstahl in östlicher Richtung aus dem Staube zu machen, wo das arme Volk sich um Fisch- und Gemüsestände
drängte.
|132| Germunt suchte aufmerksam. Er lachte still in sich hinein, als er einen schlafenden Händler fand. Zwar hatte der Kaufmann
einen Gehilfen angestellt, der für ihn die braunglänzenden Felle anpries und bewachte, er selbst aber lehnte abseits in tiefem
Schlummer an einem Faß. Mehr noch: Seine Rechte trug mehrere Ringe, von denen der goldene, der den kleinen Finger zierte,
genau passend für das Mädchen sein mußte.
Germunt schlich einen Bogen, um in den Rücken des Schlafenden zu gelangen. Mit Vorsicht prüfte er, ob jemand aufmerksam auf
ihn geworden war. Er durfte nicht langsam sein, wenn er dem Kaufmann den Ring vom Finger zog. Die Berührung würde ihn mit
Sicherheit wecken; womöglich würde er instinktiv die Hand zur Faust schließen, um den Ring so zu schützen. Am besten war es,
Germunt entriß ihm das Kleinod ohne Rücksicht darauf, daß er ihn weckte, und ergriff sofort die Flucht.
Der Dieb trat hinter das Faß und hielt den Atem an. So langsam, wie Honig am Topf herunterläuft, bewegte er seine Hand auf
den Ring zu. Als ihn nur noch eine halbe Elle davon trennte, griff er blitzschnell zu. Germunt spürte einen eisernen Schmerz
im Handgelenk, wo ihn der Kaufmann plötzlich gepackt hielt. Wie auf ein geheimes Zeichen hin drehte sich sein Gehilfe um und
richtete ein Kurzschwert auf die Brust des Diebes. Der Kaufmann sprang auf, nicht wie ein Schlaftrunkener, sondern wie jemand,
der auf der Lauer gelegen hatte, und drehte Germunt den Arm auf den Rücken, daß es leise knackte.
Germunt war kaum in der Lage zu fassen, was ihm hier geschah. Daß es um seinen Hals ging, spürte er mit kalter Furcht.
»Endlich haben wir dich.«
Zwei Stadtwachen tauchten wie gerufen aus der Menge auf. »So sieht er also aus, der Schmuckdieb.«
»Schau nicht so fassungslos, Kleiner, auch den stolzesten Hirsch erwischt es irgendwann.«
|133| »Hättest dich nicht so lange in einer Stadt aufhalten sollen. War dir nicht klar, daß wir irgendwann aufmerksam werden und
dir eine Falle stellen?«
»Eine Frage: Kommst du aus Rom? Wo hast du dein teuflisches Handwerk so gut gelernt?«
Germunt spürte eine Metallspitze in seinem Rücken.
»Sprich mit uns, Kleiner!«
»Das ist alles ein Mißverständnis«, sagte er leise.
Man lachte. »Sag bloß, du wolltest dem schlafenden Herrn hier die Hand schütteln! Los, bringen wir ihn fort.«
Rauhe Hände stießen ihn vorwärts, dann stach ihn scharfes Eisen an der Kehle und zwischen den Schulterblättern, das nicht
das geringste Zögern duldete. Die Menschen starrten ihn an, wurden von den Wachen aus dem Weg getrieben und gafften weiter.
In seinem Kopf drehte sich alles. Nun würde er die Schreibkunst wohl nie zur Gänze erlernen. Keine Schreibkunst, kein Verdienst
als freier Schreiber, kein eigener Weinberg. Der Traum zerbarst wie ein Tonkrug, vom Tisch herabgestoßen auf den harten Boden.
[ Menü ]
|134| 11. Kapitel
Mit fahrigen Bewegungen riß und zerrte Stilla an den Fäden. Sie hatte nicht wenig Lust, alles fallen zu lassen und danach
zu treten. Warum fühlte sie sich nicht geschmeichelt? Warum trat nicht wenigstens ein
Weitere Kostenlose Bücher