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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Gelehrte Odo?«
    Eine Hand winkte in Richtung Stadttor. »Dort, das große Haus.«
    »Seid bedankt.« Irgend etwas sagte Germunt, daß ihm die Frau so lange argwöhnisch hinterherschauen würde, bis er in Odos Haus
     verschwand. Die verwitterten Steinquader der Villa wirkten, als stünden sie seit Anbeginn der Welt an ihrem Platz. Grüne Rankpflanzen
     bedeckten die Mauer. Im Vorgarten stand zwischen Sträuchern eine leichtbekleidete Frauenstatue mit geneigtem Kopf, die Hand
     erhoben, als wollte sie ihr unzüchtig fallendes Haar richten. Niemals hätte sich Germunt Odos Haus so vorgestellt.
    Den brennenden Blick der Alten im Rücken, trat er durch die kleine Gartenpforte und klopfte an die Tür. Während er seine Hand
     zurückzog, fiel ihm wieder ein, daß er noch keinen Einfall gehabt hatte, was er nun sagen würde. Sein Blut begann vor Scham
     zu kochen.
    Die Tür öffnete sich. Jeden hätte er erwartet, aber nicht Stilla.
    |127| »Was wünscht Ihr?« Ihre Haare waren zerzaust, das Kleid trug in Höhe der Knie Schmutzflecken. Stilla wischte sich die Hände
     am ergrauten Leinenstoff ab.
    Erst bewegten sich Germunts Lippen tonlos, dann brachte er hervor: »Ich bin es, Germunt.«
    »Kommt herein! Odo sitzt oben in seinen Räumen und studiert. Geht nur zu ihm hinauf.«
    Er trat ins Haus. »Nein, nein, ich wollte gar nicht zu Odo. Ich … Sagt mal, habt Ihr gar keine Angst, an die Tür zu gehen?
     Ich meine, Ihr seht doch nicht, ob sich irgendwelches Gesindel Eintritt verschaffen möchte.«
    Stilla lachte. »Denkt Ihr, wenn ich die Räuber sehe, kann ich sie verjagen? Man muß einfach ein bißchen Vertrauen haben.«
    Sie betraten einen weißgetünchten Raum. Von den Türen und der Treppe unterbrochen, lief ein Bilderfries an der Wand entlang,
     der in Braun-, Grün- und Rottönen Menschen und Tiere zeigte. Fasziniert betrachtete Germunt ihn.
    »Seht Ihr Euch die Bilder an?«
    Germunt schreckte zusammen. »Woher wißt Ihr das?«
    »Ich kann es mir denken. Jeder, der hier zum ersten Mal reinkommt, schaut sich die Bilder an.«
    »Hat sie Euch schon einmal jemand …« Er stockte. »Hat sie Euch schon einmal jemand beschrieben, so daß Ihr eine Vorstellung
     davon habt?«
    »Nein.« Ihre Stimme war ein wenig nach oben gegangen, beinahe unmerklich.
    »Möchtet Ihr, daß ich es tue?«
    »Wenn Ihr mögt.«
    Germunt musterte die Bilder. »Da ist ein Mann mit einem grünen Wams. Kräftig sieht er aus, und ihm wallen dicke Locken über
     die Schultern. Die Nase ist ein wenig zu groß, finde ich, aber sie paßt natürlich zu seiner starken Gestalt. Mit den Händen
     hält er einen Pflug, den zwei Ochsen ziehen. Sie stemmen sich nach vorn, man kann beinahe hören, wie die Erde rauscht, in
     die sich das Pflugschar |128| bohrt. Es bricht sie auf, Schollen schieben sich zu den Seiten. Riecht Ihr den frischen Boden? Dann gibt es Männer, die haben
     merkwürdige Ruten in der Hand. Die Ruten tragen Zweige, und die Männer halten sie in die Höhe, als wollte einer den anderen
     damit schlagen. Es sind mehrere, sie laufen alle in einer Reihe wie beim Tanz. Man sieht auch einen Herrn mit weißem Gewand
     auf einem Pferd. Oh, wie viele Falten es wirft, das Gewand! Er sitzt sehr aufrecht und übersieht seine Untergebenen, ganz
     sicher. Oder er schaut über seine Ländereien. Stolz sitzt er jedenfalls im Sattel, sich dessen bewußt, daß er rechtmäßig herrscht.
     Ein anderer Herr steht auf einem Wagen hinter einem Gespann von vier Pferden. Er trägt einen grünen Hut. Aber der Hut sitzt
     auf den Ohren, mehr wie ein Zweig, ein Kranz. Der Herr lenkt das Gespann mit nur einer Hand. Vier Pferde, das muß eine schnelle
     Fahrt machen, daß ihm der Wind kräftig ins Gesicht weht.«
    Für einen Moment sah er zu Stilla hinüber. Sie hatte den Mund ein wenig geöffnet, als atme sie die Bilder ein, und lächelte
     auf so wunderschöne Weise, daß Germunt ebenfalls lächeln mußte. »Könnt Ihr es Euch vorstellen?«
    »Ja, sehr gut. Habt vielen Dank!«
    »Ich muß Euch etwas fragen. Dieses Vertrauen … Das kann ich nicht verstehen. Habt Ihr noch nie erlebt, daß man Eure Blindheit
     ausgenutzt hat? Ist Euch nie etwas Schlimmes passiert? Wie könnt Ihr mit geschlossenen Augen durch diese Stadt laufen, die
     Tür öffnen, herzlich zu Menschen sein, die Euch doch alle in den Rücken fallen könnten?«
    Die Blinde dachte einen Moment nach. »Biterolf hat mir immer einen Satz aus der Bibel gesagt, wenn ich traurig über den Tod
     meiner Eltern war

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