Der Kalligraph Des Bischofs.
oder mit meiner Blindheit haderte: ›Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft,
und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.‹ Ihr könnt das vielleicht nicht verstehen, weil Ihr immer sehen konntet.
Aber ich mußte eben lernen, zuversichtlich zu sein, auch wenn ich nichts sah.«
|129| Eine schabende, kratzende Stimme ertönte hinter einer der Türen: »Stilla, hast du den Mantel gewaschen? Dann kehre jetzt das
Haus! Oder nein, warte, zuerst möchte ich, daß du mir einen Becher Milch bringst.«
»Das ist Bernegild, Odos Magd.« Das Mädchen trat näher zu Germunt und flüsterte. »Sie ist so alt, daß Odo es nicht übers Herz
bringt, sie vor die Tür zu setzen. Von Tag zu Tag wird sie unleidlicher. Wie es scheint, rächt sie sich an jedem, der ihr
in die Finger kommt, dafür, daß das Leben für sie zu Ende geht.«
»Stilla? Stilla!«
»Ich komme!« Stilla bedeutete Germunt, hier zu warten, und verschwand, sich am Rahmen entlangtastend, durch eine der Türen.
Als sie nach wenigen Augenblicken wiederkehrte, trug sie einen Tonbecher in der Hand. Mit sicheren Schritten durchmaß sie
den Raum. Erst vor der neuen Tür wurde sie zögerlicher, tastete sich mit einer Hand voran, bis sie die Tür fühlte, und schob
sie auf.
»Mädchen, was brauchst du so lange?« hörte Germunt es aus dem anschließenden Raum krächzen.
»Verzeiht.«
»Du mußt nicht warten, bis ich getrunken habe. Los, los, Meister Odo kann ein schmutziges Haus nicht leiden, schwing den Besen!«
Stilla schien etwas zu flüstern.
Jetzt sprach die kratzige Stimme gedämpft. »Besuch? Warum hast du mir das nicht gesagt? Er steht hier vor meiner Tür? Schaff
ihn rauf zu Meister Odo, schicke dich!«
Das Mädchen trat aus der Tür und zog sie hinter sich zu. »Germunt?«
»Ich bin hier.«
»Soll ich Euch zu Odo hinaufführen, oder möchtet Ihr es selbst finden? Ihr müßt einfach die Treppe hinaufgehen.«
Germunt atmete tief ein. Er spürte, wie ihm das Herz von innen gegen die Rippen schlug.
»Was ist mit Euch?«
|130| »Stilla, was würdet Ihr sagen, wenn ich nur gekommen wäre, um Euch zu sehen?«
Ihre Stimme wankte. »Wie meint Ihr das, um mich zu sehen?« Die Brauen waren ein wenig schräggestellt, zur Mitte der Stirn
hin erhoben, und dort zeigten sich Falten.
Lächle, bitte lächle.
Germunt wollte schlucken, konnte es aber nicht. Er starrte auf Stillas Mund, der in den nächsten Momenten sein Urteil sprechen
mußte.
»Hört, ich führe ein gutes Leben. Nicht in Reichtum, aber ich habe genug zu essen und weiß, wo ich meinen Kopf zur Nacht betten
kann. Ich halte den kleinen Garten von Brennesseln und Unkraut frei, wasche die Wäsche, versorge Meister Odo mit Speise und
Trank und webe Wolltuch, aus dem ich Kleider schneidere. Damit bin ich zufrieden. Es ist viel Arbeit, und ich muß oft für
Besorgungen in die Stadt, aber ich schaffe das meiste, was zu tun ist. Es gibt so viele Frauen in Turin! Warum wollt Ihr mich
in ein Abenteuer ziehen? Ich bitte Euch in ganzem Ernst, schlagt Euch aus dem Kopf, was Euch bewegt hat, hierherzukommen.«
»Stilla, Ihr kennt mich nicht.«
»Und Ihr nicht mich.«
»Das können wir ändern! Wir können doch miteinander sprechen, mehr wünsche ich mir nicht.«
Die Blinde seufzte leise. »Wenn Ihr ehrlich zu Euch selbst seid, müßt Ihr Euch eingestehen, daß dieses Sprechen zu mehr führen
soll. Aber das möchte ich nicht. Ihr bringt mein Leben in Unordnung, und ich bin so froh, daß es nach all den Jahren diese
Ordnung gefunden hat! Ich bitte Euch«, sagte sie mit flehender Stimme, »zeigt Eure männliche Kraft, indem Ihr mein Nein annehmt.«
Germunt atmete aus wie jemand, der einen Schlag in den Magen bekommen hat. Er spürte, daß seine Lippen zitterten, und er wußte,
daß auch seine Stimme zittern würde, wenn er jetzt sprach.
Er sagte: »Lebt wohl, Stilla.«
|131| So mitfühlend sah sie aus, daß ihn eine erneute Woge der Zuneigung überspülte, gefolgt von brennendem Schmerz.
Die Füße führten ihn ganz selbständig aus dem Haus, trugen ihn die Straße hinunter. Er sah nichts von den Menschen, hörte
nur Stille. Die Häuser waren taube Felsen.
Ich bin ein elender Dummkopf! Wäre ich nicht ohne triftigen Grund zu Odos Villa gekommen, dann hätte ich mit ihr sprechen
können, sooft ich wollte, und sie hätte es genauso erfreut. Aber ich mußte ja das Herz auf der Zunge tragen. Es war viel zu
früh für ein solches
Weitere Kostenlose Bücher