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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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spöttisches, huldvolles Lächeln auf
     ihr Gesicht? In ihr brodelte Ärger. Natürlich lebten seine Eltern nicht in den Bergen. Anfänglich hatte sie seine wahre Geschichte
     noch interessiert, war sie ein wenig von Neugier erfüllt gewesen. Aber nun verachtete sie den jungen Herumtreiber. Es kümmerte
     sie nicht mehr, ob er Räuber oder Bettler war, sie wollte einfach in Ruhe gelassen werden.
    Weshalb drängte er sich so an sie heran?
Ich gehe ihm von nun an aus dem Weg, sagte sie sich, und wenn es bedeutet, daß ich Odo einen Dienst verweigern muß. Diesem
     Streuner möchte ich nicht mehr begegnen.
    Ein wenig schämte sich Stilla für die Abscheu, die sie plötzlich empfand. War es gerecht, sich so umzuwenden, Interesse mit
     Abneigung zu erwidern? Sie fühlte sich schlecht, und das machte sie nur noch ärgerlicher.
    Ein breites Gesicht mit sanften, weichen Augenbrauen. Stillas Fingerspitzen kribbelten bei der Erinnerung daran. Der Vater.
     Und das schmalere Gesicht, in dessen Mundwinkeln man Lachfalten erfühlen konnte: Die Mutter. Sie hatte sie geliebt, und sie
     war von ihnen geliebt worden. Nun waren sie tot.
    »Es hat geklopft«, kreischte es aus dem Raum der alten Magd.
    Stilla seufzte wütend. »Ich komme.«
    An der Tür empfing sie jemand, der heftig atmete. »Ich muß zu Meister Odo.«
    |135| »Natürlich, geht nur die Treppe hinauf. Er studiert oben in seinen Räumen. Seid Ihr es, Frodwald?«
    »Ja.«
    Sie hörte ihn die Stufen hinauftreten.
    »Was ist geschehen?«
    »Der junge Germunt ist gefangengesetzt. Die Städtischen geben ihn nicht heraus und behaupten, er sei beim Diebstahl erwischt
     worden.«
    Stilla schluckte. »Was geschieht mit ihm?«
    »Graf Godeoch hat davon gehört und fordert sein Leben. Ich bin nun zu Odo geschickt, um herauszufinden, ob er mehr als die
     Hand verlieren sollte. Nach geltendem Recht.«
    Ihre Stimme war leise, neblig. »Ich verstehe.«
     
    »Der Bischof wird sich ins Zeug legen. Ich glaube … eine Art Machtkampf zwischen … Graf Godeoch hat befohlen …«
    Germunt drückte das Ohr fester gegen die Tür; die Stimmen waren schwer zu verstehen.
    »… Hand abschlagen … ausbluten …«
    »… nicht gleich zubrennen, sondern warten bis …«
    »… schnell handeln, bevor Bischof …«
    Er hatte genug gehört. Ein feines Kitzeln lief ihm über die ganze Haut, und er sah, wie seine Hände zitterten. Germunts Gedanken
     stoben wie Schwalben in alle Richtungen, um eine rettende Spalte, einen Ausweg zu finden. Er stellte sich in die Mitte der
     Zelle und drehte sich langsam im Kreis: Die Mauern waren kräftig; nur durch einen schmalen Schlitz gegenüber der Tür fiel
     Tageslicht. Er ging zur Wand und begann, auf die Steine zu klopfen und durch Fugen zu kratzen. Nackt, ohne Widerhall, prallten
     die Finger an der kalten Mauer ab.
    Ein Geräusch von draußen ließ Germunt zwanghaft schlucken. Jemand schärfte mit langen, zischenden Bewegungen ein Schwert.
    Er gab die Mauer auf. Sein Blick fiel auf den alten Strohsack, der als Bettlager auf dem Boden lag. Germunt riß mit |136| den Zähnen eine Öffnung in das morsche Hanfgewebe und schüttete die Füllung auf den Boden. Mit dem Stroh verstopfte er den
     Fensterschlitz, bis es völlig finster im Raum geworden war. Dann nahm er den Sack in die Hand und tastete sich neben die Tür.
    Ich habe keine andere Wahl.
Das Herz donnerte in seiner Brust, als wäre er durch die halbe Stadt gerannt. Schweiß rann kalt seinen Rücken hinunter, und
     er spürte einen unbändigen Drang, sich zu bewegen, irgend etwas zu tun.
    Irgendwann verstummte draußen das metallene Schleifen. Stimmen waren zu hören, und bald schob sich der Riegel seiner Tür zur
     Seite.
    Er hatte sich nicht getäuscht. Als sich die Tür öffnete, stand er außerhalb des Lichtkegels im tiefschwarzen Schatten. Der
     Wachbüttel hielt schützend seine Klinge vor sich und machte einen Schritt in die Zelle hinein. »Warum ist es hier so dunkel?«
     Das Blut rauschte durch Germunts Adern. Er sprang vor, warf dem Wächter den Sack über den Kopf und schlüpfte hinter ihm aus
     dem Raum.
    Dann sah er Schwerter blitzen, wich aus, fühlte Arme und Hände, die ihn packten, entwand sich, ließ sich fallen und jagte
     wieder voran. Laute Rufe gellten in seinen Ohren. Dunkle, unverständliche Laute. Germunt lief zur Tür, wo ihn ein Büttel mit
     einem Spieß erwartete, und bog im letzten Augenblick zum Fenster ab. Wie ein Pferd, das einen Ackerzaun überspringt, flog
     er in die

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