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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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man Gottes Güte wieder und wieder herausfordern?
Es war besser, er fand sich mit dem Gedanken ab, daß er bis zum Frühling bei den Alten bleiben würde.
    Der Sennerhof war ein Reich mit eigenen Gesetzen und Zeiten. Ungemein wichtig waren die Kühe. Jede trug einen Namen: Bertrun,
     Anna, Ziska, Untrut, Reinhild, Ita. Es dauerte nicht lang, und sie begrüßten Germunt mit vertrautem Muhen, wenn er des Morgens
     zum Melken kam. Er lernte, sie zu unterscheiden. Nicht nur nach ihrer Größe oder der Form der Hörner, sondern nach ihrem Gesicht
     und ihrem Verhalten. Alle hatten sie rotes, einfarbiges Fell, aber Ita war träge und faul; sie brauchte einen Fausthieb in
     die Seite, damit sie Platz machte. Ziska dagegen war verschlagen. Sie drängte Germunt gern zur Wand ab oder setzte ihm den
     schweren Huf auf den Fuß. Bertrun und |231| Anna konnte Germunt mit ruhigen Worten zum Stillstehen erwärmen, Reinhild und Untrut liebten es, getätschelt zu werden.
    Während anfangs noch der Senner mit in den Stall gekommen war, wurde es bald allein Germunts Aufgabe, die Kühe zu melken.
     Die Sennerin richtete derweil das Haus, und ihr Mann warf mit einer Gabel, die riesige Zinken trug, Futterheu vom Dachboden
     herab. Für Germunt wurde das Geräusch des feinen Milchstrahls, der schubweise in den Eimer spritzte, zum gewohnten Morgengeräusch.
     Wenn er mit den vollen Eimern aus dem Stall trat, war der Winterhimmel über den Bergen rot gefärbt, und es dauerte nicht mehr
     lang, bis die ersten Sonnenstrahlen auf das Haus fielen. Oft blieb er noch einen Moment mit den dampfenden Eimern stehen und
     sog die frische, kalte Luft tief ein.
    Es war einer jener Momente. Die Kühe im Stall hinter ihm brummten zufrieden, weil sie gemolken waren und ihr Heu erhalten
     hatten, da trat der Senner neben ihn. »Heute wird kein leichter Tag.«
    »Warum?«
    »Ich habe es lange vor mir hergeschoben, aber bevor der Frühling kommt, müssen wir fertig sein. Du wirst sehen. Komm.«
    Germunt stellte die Eimer in das vom Reif überzogene Gras und folgte dem Bauern in die Scheune. Die Sennerin stand dort, ein
     leichtes Schmunzeln um die Mundwinkel, und blickte ihrem Mann entgegen. »Fangen wir an?«
    »Haben ja jugendliche Unterstützung.«
    An der Scheunenwand waren Garben bis zum Dach aufgetürmt. Der Senner stieg eine dünne, lange Leiter hinauf und warf von oben
     eine Garbe auf den Boden. Staub und Spreu wurden aufgewirbelt. Germunt blinzelte, weil ihn die Teilchen in die Augen stachen.
     Als er wieder klar sehen konnte, beobachtete er die Bäuerin, die inzwischen auf dem Boden kniete, neben sich das Seil, das
     die Garbe zusammengehalten hatte. Sie legte die Halme bündelweise |232| mit den Ähren in die Mitte, so, daß das Stroh außen im Kreis lag.
    Drei Dreschflegel lehnten an der Wand. Der Senner, der wieder herabgeklettert war, gab Germunt einen in die Hand, den zweiten
     nahm er selbst. Es waren mannshohe Stangen, an denen mit einem Lederstreifen schwere Holzklötze befestigt waren. »Stell dich
     an den Rand der Tenne. Halt mal den Flegel nach vorn – ja, da stehst du richtig. Paß auf, wir schlagen im Wechsel, immer nacheinander.
     Fang du an.«
    Germunt hob die Stange in die Luft und ließ sie auf die Ähren heruntersausen. Kaum hatte er sie wieder hochgenommen, donnerte
     der Flegel des Senners auf das Korn.
    »Worauf wartest du? Das muß in schnellem Wechsel passieren, ohne Pausen.«
    Germunt ließ seinen Flegel mit Wucht auf das Korn prallen, der Flegel des Senners folgte, und Germunt schlug wieder zu. Tam,
     tam. Tam, tam. Tam, tam. Bald dröhnten ihm die Ohren. Sie droschen auf die Halme, bis sie sich immer kleiner zusammenduckten,
     und dann sah Germunt die Körner hüpfen.
    »Das reicht. Warte.«
    Die Sennerin sammelte die Halme wieder ein, dann fegte sie die Körner auf einen Haufen am Rand. Währenddessen war der Bauer
     die Leiter hinaufgeklettert. »Achtung!« Er warf eine neue Garbe auf die Tenne.
    Tam, tam. Tam, tam. Arme und Rücken schmerzten.
Einfach nur arbeiten, nicht viel reden, nicht viel denken. Es ist wohltuend, mal nicht schweren Gedanken nachzuhängen. Einfach
     nur zu sein.
Germunt rief: »Einen Moment!« Er wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß aus der Stirn. »Gut, weiter.«
     
    Am Abend saßen die drei im Haus und flochten Seile aus den Halmen. »Du mußt sie am oberen Ende zusammenbinden. Wo die Ähre
     war, sind sie biegsamer«, erklärte ihm die Sennerin.
    |233| »Wenn morgen der Wind günstig

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