Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
Vom Netzwerk:
hinsah, konnte er sogar seine Brücke erkennen, als
     winziges Holzspänchen, das über den Fluß gelegt war. Turin war keine fremde Stadt mehr für ihn.
    Dieses Mal komme ich nicht als Dieb,
dachte Germunt.
Ich komme nicht, um die Turiner zu bestehlen, sondern um ihnen etwas zu geben.
Er streckte die Schultern, richtete den Kopf auf.
Was für ein Gefühl, seinen Platz zu kennen. Nicht zu den Schmieden gehöre ich und nicht zu den Tuchhändlern. Ich kehre nicht
     in einen Krämerladen zurück, nicht in ein
|238|
Fischerboot und nicht zu Schafen oder Ziegen. Ich gehöre in die Schreibstube. Und dort werde ich gebraucht.
    Der Viehtreiberweg, dem er folgte, beschrieb eine Kurve und brachte Turin aus dem Sichtfeld. Dann vereinigte er sich mit der
     Handelsstraße, die Germunt damals aus Vorsicht verlassen hatte. Ein Ochsenkarren, hoch mit Fässern beladen, kam ihm entgegen.
     Der stoppelbärtige Karrenlenker hob die Hand an den Schlapphut, und Germunt grüßte mit freundlichem Nicken zurück. Rennen
     durfte er nicht, da kamen noch andere Leute, Wanderer, Pilger vielleicht. Aber er lief, so schnell er konnte, stolperte mehr
     hinab, als daß er ging. Aus dem Mäuerchen war eine Mauer von stattlicher Höhe geworden – wiewohl einige Steine fehlten und
     andere große Risse zeigten –, und die flache, grüne Ebene hatte sich in hügeliges Weinbergs- und Weideland verwandelt.
    Endlich trat Germunt durch das Stadttor, tauchte in das Leben Turins ein.
Ich habe vergessen, wie sehr es hier stinkt. Hatte ich mich wirklich so sehr daran gewöhnt?
Eine Halbwüchsige goß vor seinen Füßen ihren Eimer auf der Straße aus. Das bräunliche Wasser streckte Arme aus, lange Fühler
     und kurze, dicke Hörner, während es versickerte. Auf dem Weg blieben Käserinde, Eierschalen, Zwiebelreste und Kraut zurück.
     Der saure, bissige Gestank – er gehörte wohl zu Turin wie das wohlige Brummen der Kühe zum Sennerhof. Mit Übung wich Germunt
     der Pfütze aus.
    Im Wassertrog eines Böttchers betrachtete er sein Gesicht. Lange Haare fielen ihm von den Schultern, und ein runder, kräftiger
     Bart war ihm gewachsen.
    Ruhig, langsam tauchte er in seine gelben Augen hinab.
Das habe ich noch nie getan,
stellte er fest.
Es ist seltsam, als würde man sich selbst fremd sein.
Germunt richtete sich auf. Hatte er nicht hier gestanden, bevor er zu Odos Villa gelaufen war? Der Tag seiner Abreise und
     der seiner Ankunft schienen derselbe zu sein, als habe in Turin die Zeit stillgestanden.
    Vielleicht fürchtete er sich gerade deshalb davor, den Bischofshof |239| zu betreten. Würde der Zorn verraucht sein, den man über seinen Diebstahl empfunden hatte? Wie würde man ihn empfangen? Rechnete
     man überhaupt damit, daß er zurückkehrte? Es war gut möglich, daß ein neuer Bischof eingesetzt worden war und man ihm nachträglich
     die Hand abschlug. Germunt rieb sich das Handgelenk.
Ich muß der Wahrheit ins Auge blicken.
    Mit bedächtigen Schritten lief er die Straße hinunter. Dort hinten war das große Tor. Die Tür im linken Flügel stand offen.
     Abrupt blieb Germunt stehen. Was war das für ein Geräusch, das aus dem Bischofshof drang? Ein schepperndes Pling-pling war
     zu hören, immer wieder. Pling-pling. Pling-pling. Und dann drückte sich Germunt eilig gegen die Häuserwand. Hufgetrappel kam
     näher. Mindestens zwanzig Pferde.
    Verwirrt betrachtete er die schwer gerüsteten, langbärtigen Männer. In ihrer Rechten hielten sie Lanzen, stolz in den Himmel
     gestreckt, an deren Schäften flatterten spitze Fahnen. Keine Fahne war der anderen gleich. An jedem Sattel hingen zwei Schwerter,
     eines lang, eines kurz, und ihre Körper waren mit hartem Leder gepanzert, über das feine Stoffe flossen.
    Was hatte das zu bedeuten? Vor dem Tor zum Bischofshof hielten sie an, und wenig später wurden beide Flügel geöffnet, um sie
     einzulassen. Er hörte einen Hund entrüstet anschlagen. Farro.
    Germunt löste sich mit einem Ruck von der Häuserfront. Wenn Farro noch dort war, dann mußte auch Biterolf da sein. Ihn würde
     er fragen, was all das zu bedeuten hatte.
    Vorsichtig kam Germunt dem Torbogen näher, dann trat er hindurch, nur einen Schritt. Der Hof sah dem ähnlich, was sich Germunt
     unter einem Heerlager vorstellte. Bündel wurden geschnürt und an Packpferden festgezurrt, ein Schmied kühlte eine dampfende
     und zischende Klinge im Wasserfaß ab und verbreitete rauchigen Metallgeruch. Überall blinkten Waffen.
    |240| Zwischen allem

Weitere Kostenlose Bücher