Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
Vom Netzwerk:
steht, dann worfeln wir.« Der Senner lächelte. »Gut, daß du hier bist, Germunt. Zu dritt geht
     das alles schneller und leichter.«
    »Warum brauchen wir morgen besonderen Wind?« fragte Germunt.
    »Die Spreu soll uns doch nicht ins Haus fliegen. Kennst du das Worfeln nicht? Wir werfen den Roggen in die Luft, den wir heute
     ausgedroschen haben, um die Spreu von den Körnern zu trennen.«
    »Stimmt, das habe ich schon gesehen, zu Hause.« Und plötzlich wußte Germunt nicht mehr, ob er mit
zu Hause
den väterlichen Hof bei Troyes meinen sollte oder dieses Haus, in dem er mit den Alten saß und Seile flocht.
     
    Zuerst war es nur ein warmer, weicher Zug in der frischen Morgenluft, wie der Schuß von Sahne, den die Sennerin ihrer Suppe
     beifügte. Dann schwollen die Bäche an, gurgelten lauter; im Garten zeigten sich zarte Halmspitzen, und dazwischen tasteten
     sich Ameisen zu den Sonnenflecken vor. Es wurde Frühling. Der Brief wog wieder schwerer in Germunts Händen, wenn er ihn abends
     von der Fensterbank nahm. »Ich weiß«, seufzte die Sennerin dann, ohne daß er etwas gesagt hätte, und fügte rasch hinzu: »Aber
     noch nicht morgen, oder?«
    Eines Tages erwiderte Germunt: »Doch, ich glaube schon. Morgen breche ich auf.«
    Die ganze Nacht hörte er die Senner flüstern. Wenn er sich auf seinem Lager drehte, verstummten sie, nur um ihr Tuscheln bald
     darauf fortzusetzen.
    Es wurden lange, innige Umarmungen am nächsten Morgen. »Daß du mir vom Hang oben noch einmal winkst, ja?« befahl die Sennerin,
     aber die Tränen in ihren Augen verwandelten den Befehl in eine sanfte Bitte.
    »Vergiß uns nicht, Junge.« Der Senner stellte sich hinter seine Frau und nahm sie bei den Schultern.
    Germunt sagte: »Wir sehen uns wieder.« Dann lief er los. |234| Bevor der Sennerhof außer Sichtweite geriet, drehte er sich um und winkte. Dreimal hatte er den Arm schwenken wollen. Er tat
     es zehn-, zwölfmal. Als er über die Hügelkuppe stieg, standen auch ihm Tränen in den Augen.
    * * *
    Germunt lächelte. Er hatte die Stelle wiedergefunden. Hier, unter diesem geduckten, schnörkeligen Baum hatte er auch auf der
     Reise nach Tours die Nacht verbracht.
Ich hätte niemandem den Weg durch die Berge beschreiben können,
dachte er.
Trotzdem erkenne ich die Pfade wieder.
Dort ein Fels, der wie ein Pferdekopf geformt war, da ein besonders steiler Hang, mit Steinbrocken übersät – es war immer
     etwas da, das ihn erinnerte.
    Die müden Beine drängten ihn, sich auf dem Moos niederzulassen. Germunt widerstand und hockte sich vorsichtig davor, um mit
     der Hand darüberzustreichen. Weich. Es sah unberührt aus, so, wie er es vier Monate zuvor gesehen hatte.
Ich kann mich unmöglich in der Stelle geirrt haben.
Die winzigen Pflänzchen mußten sich wieder aufgerichtet haben.
    Sanft sanken seine Knie in das Moos ein, während er sich mit den Augen so dicht heranneigte, daß die grünen Spitzen seine
     Nase kitzelten. Sie sahen aus wie ein eigener kleiner Wald. Einer Laus, die dort hineinspazierte, mußte es so erscheinen.
     Würzig roch es und ein wenig säuerlich.
    Was hatte er gedacht, als er auf dem Weg nach Tours hier gerastet hatte? Germunt streckte sich auf der zarten Moosdecke aus, das Gesicht zum grauen Abendhimmel aufgerichtet , und verschränkte die Arme unter dem Kopf.
Ich habe die Ziege beobachtet, wie sie die Beine unter den Bauch gefaltet hat, wenn sie sich hinlegte. Und dann habe ich mich,
     Gott weiß warum, an das Geräusch erinnert, an das metallene Schleifen, als mich Godeochs Büttel töten wollten.
Wieder hörte er das Schaben, das Zischen. Dunkel war es gewesen |235| in der Kammer, in die sie ihn eingesperrt hatten. Dann der Fluchtversuch, und der Henker auf dem Hof.
Habe ich mich tatsächlich so oft in den letzten Monaten über mein steifes Bein geärgert? Warum bin ich nicht dankbar, daß
     ich noch lebe, daß ich nicht in diesem Hof verblutet bin?
    Er fühlte eine Ruhe in seinem Bauch, die ihn lächeln ließ.
Ich habe so viel Gutes erlebt in der letzten Zeit.
Unwillkürlich tastete er nach dem Mantel, der um seine Schultern lag.
Biterolf, Claudius, Odo, Aelfnoth – sie haben mir so viel gegeben. Ich verstehe nicht einmal richtig, warum. Und die Senner!
     Haben sie irgendeine richtige Gegenleistung für die liebevolle Aufnahme bekommen, die ich bei ihnen gefunden habe?
Germunt mußte an seine Kindheit denken. Er war geachtet worden. Ganz genau konnte er sich an das diebische Vergnügen erinnern,
     das

Weitere Kostenlose Bücher