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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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er empfunden hatte, wenn Erwachsene ihm, einem Kind, gehorchten, obwohl er ihnen gerade bis zum Gürtelstrick reichte.
     Einmal hatte er, nur um das auszukosten, eine Magd den ganzen Tag drangsaliert.
    »Los, feg die Stube! Aber auch dort, hinter den Kisten, ja?«
    »Wie Ihr sagt, junger Herr.«
    Er hatte genau aufgepaßt, war ihrem Reisigbesen gefolgt, die Arme in die Seiten gestemmt, und hatte geschimpft, wenn ein Blatt,
     ein Ästchen liegengeblieben war. »Jetzt sollst du Wolle zupfen!«
    »Ja, junger Herr.« Gehorsam setzte sie sich mit dem Wollesack an den Tisch.
    »Danach will ich, daß du mir einen Honigkuchen bäckst.«
    »Ich will gern tun, was Ihr mir auftragt, junger Herr, aber sollten wir da nicht noch Eure Mutter fragen?«
    Die Mutter hatte er nicht traurig machen wollen. Als sie von der ganzen Sache erfuhr, schimpfte sie: »Du sollst das Gesinde
     anständig behandeln!« Der Vater lachte nur. »Aus ihm wird ein rechter Mann.« Und Irene? Die blickte finster drein, so wie
     sie es immer tat, wenn sie es sich nicht |236| traute, zu sprechen. Damals war sie sehr zurückhaltend gewesen – bis sie ihr Kind zur Welt brachte und alles zusammenbrach.
    Es war Achtung gewesen in der Zeit seiner Kindheit. Aber was er in den letzten Monaten erlebt hatte, das war etwas anderes,
     das war das Gefühl von Ebenbürtigkeit und gegenseitigem Wohlwollen. So anders. Biterolf hatte sich bestimmt nicht unterlegen
     gefühlt, als er ihm seinen Mantel schenkte. Er, der Lehrer, der bischöfliche Notar! Nein, er hatte ihm, seinesgleichen, seine
     Unterstützung gegeben, weil eben er, Germunt, durch die Berge wandern mußte und den Mantel dort dringend gebrauchen konnte.
Was denke ich da!
Germunt lachte.
Ich vergleiche mich mit Biterolf?
Welche krummen Wege die Gedanken doch gehen konnten, wenn er ihnen die Zügel locker ließ. Natürlich wünschte er sich das,
     dem Notar ebenbürtig zu sein, aber wie sollte er den erfahrenen, fähigen Mann je einholen? So viele Jahre lagen zwischen ihnen,
     Jahre, in denen Biterolf immer mehr gelernt hatte, geübt, erlebt. Er würde für immer über Germunt stehen.
    Er steht schon jetzt nicht mehr über mir.
Erschrocken setzte sich Germunt auf. Dunkel war es geworden, Tausende kleiner Sterne glitzerten am Himmel. Ein kalter Windhauch zog Germunt unter die Kleider. »Was sind das für Gedanken!« sagte er laut.
Er steht nicht mehr über mir. Ich habe gelernt, die Buchstaben nicht nur leserlich zu schreiben, sondern sie in eine Zeile
     einzuordnen, die Schönheit in sich trägt. Ich weiß, Oberlängen und Unterlängen nur bis zu ihrer bestimmten Länge zu ziehen,
     sie so gleichmäßig zu zeichnen, daß eine der anderen gleicht, egal, welche Buchstaben sie tragen. Und ich bringe Leben auf
     das Pergament, Menschen in jeder Haltung, mit Waffen, Werkzeugen, Büchern, Tiere in ihrem Sprung, Pflanzen, die neben der
     Schrift sprießen. Durch Farben mache ich sie lebendig. Blau, Gelb, Rot, Grün – das ist eine Kunst, die Biterolf nicht beherrscht.
    »Germunt«, ermahnte er sich. »Hör auf! Dieser Stolz |237| verdirbt dein Herz. Biterolf weiß, wie man siegelt, wie man Schriften ordnet und Urkunden gut formuliert. Er kennt wichtige
     Menschen, wichtige Orte. Was kennst du schon!«
    Aber vielleicht, vielleicht war Biterolf bei Germunts Rückkehr nicht mehr sein Lehrer. Vielleicht waren sie einfach Amtsbrüder.
     
    Immer, wenn er in den nächsten Tagen daran dachte, empfand Germunt ein schlechtes Gewissen. Es gelang ihm aber nicht, den
     Gedanken wirklich abzuschütteln. Erst als er von weit oben Turin erblickte, fand sein Nachdenken anderen Boden.
    Mit blauer Tinte hatte Gott ein S in die Ebene gemalt, mitten durch das grüne Land, und die Städter hatten ihre Häuser an
     den Bauch des unteren Bogens geklebt. Turin war nichts anderes als ein Haufen von kleinen, weißen Sprenkeln, umgeben von einem
     Mäuerchen. Ein kümmerliches Nest im Blätterwerk eines Riesenbaumes. Ein mittelkräftiger Wind konnte es von der Ebene fegen,
     so schien es Germunt.
    Damals, als er auf der Flucht vor den Bluträchern über die Alpen gekommen war, war ihm die Stadt groß erschienen, bestens
     geeignet, um ihm in der Menge der Einwohner guten Unterschlupf zu bieten. Und war es nicht eine riesige Stadt? Aber inzwischen
     kannte er Menschen dort mit ihrem Namen und ihrem Gesicht, wußte von hier oben zu sagen, wo sich der Bischofshof befand und
     wo der Marktplatz, an welcher Straße Odos Villa lag, und wenn er genau

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