Der Kalligraph Des Bischofs.
aufrecht über den Hof schritt, knirschte Biterolf mit den Zähnen.
Wunderbar. Blind seid ihr und seid doch so sicher, daß ihr richtig lauft. Seit Cyprian überschauen wir es: ›Die Welt ist getränkt
von Menschenblut,
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das von den Menschen vergossen worden ist.‹ Aber ihr wißt es besser, nicht wahr?
Er mußte ein wenig Wasser wegblinzeln, das sich vor Wut in seinen Augen sammeln wollte.
In der Schreibstube zog Biterolf eine abgegriffene Pergamentseite aus dem Regal. Er entfaltete sie und besah sich seine eigene,
jugendliche Schrift. In Sankt Gallen war das gewesen; wie oft hatte er seitdem die geliebten Worte gelesen und sich an ihnen
gestärkt. Damals mußte er sie heimlich abschreiben, das Pergament war, genau betrachtet, gestohlenes Material.
»Wenn nur alle diejenigen, die begreifen, daß sie Menschen sind nicht wegen der Form ihres Leibes, sondern auf Grund des Vermögens
ihrer Vernunft, für einen Augenblick bereit gewesen wären, einzuhalten und auf seine heilsamen und friedlichen Gesetze zu
hören …« Er nickte. Ja, wenn! »… dann hätte sich die ganze Welt schon längst des Eisens nur noch für die häuslichen Arbeiten
bedient.«
Den Namen Arnobius hatte er daruntergeschrieben. Als ob er je diesen Namen und diese Freude vergessen könnte, damals, als
er Arnobius’ Werk
Adversus Nationes
entdeckte und seine eigenen Gedanken darin so treffend formuliert fand, daß ihm vor Glück der ganze Körper zitterte.
Inzwischen war ihm klar, daß die Kirchenväter allesamt gegen die Gewalt gewesen waren, mit Ausnahme von Augustin vielleicht,
der sie akzeptierte, um sie einzuschränken. Was sagte nicht Tacitus in seiner Biographie des Gnaeus Julius Agricola? »Stehlen,
Morden, Rauben nennen sie mit falschem Namen Herrschaft und Frieden, wo sie eine Wüste schaffen.«
Es war keine Entschuldigung für Godeoch, Ato oder den Kanzler, daß sie vielleicht jene Schriften nicht gelesen hatten.
Was ist mit »liebet eure Feinde« oder »selig sind die Friedfertigen« – haben sie das nicht Hunderte Male gehört?
Biterolf preßte die Lippen aufeinander, vergrub sein Kinn in der
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Bin ich der letzte, der sich dem Willen der Zeit widersetzt? Gottes Botschaft kann sich doch nicht verändern!
Man hörte ein angstvolles Wiehern. Hastig faltete Biterolf das Pergament zusammen, legte es zurück an seinen Platz und trat
durch die Tür. Auf dem Hof tänzelte das Pferd des kaiserlichen Boten rückwärts und zerrte an dem Strick, mit dem es festgebunden
war. Biterolf sah seinen Hund aus der Pferdetränke springen und sich schütteln, als wollte er den ganzen Hof naß spritzen.
Gleich darauf ließ sich Farro fallen und wälzte sich im Staub. »Komm her, Farro!« rief der Schreiber streng. »Willst du das
auch machen, wenn in wenigen Tagen die hohen Herren hier sind?«
Der Hütehund trottete gehorsam heran. Er reichte Biterolf bis zum Gürtelstrick, und das staubig-nasse Fell bedeckte einen
Brustkorb, der so breit war wie der eines ausgewachsenen Ebers. Biterolf fuhr Farro mit der Hand über den Kopf. »Dir ist warm,
ich verstehe. In der Schreibstube hast du Schatten, mein Kleiner.«
Nach fünf Tagen traf die Nachricht ein, daß der Bischof in wenigen Stunden Turin erreichen würde. Ein junger Mann aus seinem
Gefolge war vorausgeprescht, um ihn der Stadt anzukündigen. Nun sammelten sich Volksmassen in den Straßen, Kinder krakeelten:
»Ich bin der Bischof« und stolzierten vor ihren Kameraden einher, Frauen badeten ihre Säuglinge, um sie dem Geistlichen mit
der Bitte um einen Segensspruch entgegenzuhalten. Man sah Krüppel, die sich im Gedränge mühsam auf ihren Krücken hielten,
Siechende, denen Freunde einen Platz erkämpft hatten, wo der Bischof vorbeireiten würde. Selbst Blinde hatte man an den Straßenrand
geführt, in der Hoffnung, der hohe Geistliche würde sie heilen. Die Männer des Grafen forderten das Volk mit finsteren Blicken
auf, zurück an die Arbeit zu gehen, während sich auf dem Hof vor dem Bischofspalast eine Gruppe von Maurern, Goldschmieden
und Steinmetzen versammelte, um bischöfliche Aufträge zu gewinnen.
|31| Swabo ruderte zwischen Bischofskirche und Palast mit seinen kurzen Armen und versuchte so, die Hühner zu vertreiben. Empört
flogen sie vor ihm auf, nur, um sich hinter ihm wieder niederzusetzen – sehr zur Belustigung der versammelten Handwerksmeister.
Da bekam er unerwartet Unterstützung von Farro. Der Hütehund
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