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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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als er Frodwald auf dem Hof rufen hörte: »Stilla! Ihr wißt noch den Weg
     hierher?« Obwohl er kaum mehr die Feder führen konnte, zwang er sich, zu schreiben, ohne aufzublicken.
    »Ich grüße Euch. Wie ich hörte, ist Germunt wieder hier?«
    »Ja. Er sitzt in der Schreibstube. Fleißig wie eine Schwalbe |252| beim Nestbau und so kunstvoll, daß sicher selbst Meister Odo staunen wird.«
    Die Tür klappte. Germunt fühlte Stilla näher treten. Er hielt den Blick auf seinem Pergament.
Sie hört, daß meine Feder über die Tierhaut kratzt.
Er wußte, daß sie hinter ihm stand, sah vor seinem inneren Auge ihr Gesicht, ihr im warmen Licht der Talglampen weich glühendes
     Gesicht.
    Germunt bemerkte, daß er
custodiretur
zweimal geschrieben hatte. Er würde die Urkunde neu beginnen müssen. Trotzdem schrieb er weiter.
    »Was sind das für Künste, von denen Frodwald spricht?« Ihre Stimme klang anders. Mit Frodwald hatte sie klar und selbstbewußt
     gesprochen, jetzt hörte sie sich unsicher an.
    »Nichts Besonderes. Ich habe bei einem alten Mann in Tours gelernt, mit der Feder zu zeichnen. Man verziert so den Anfang
     einer Urkunde.«
    Stilla schwieg. Aus ihren kurzen Atemzügen konnte Germunt schließen, daß sie von seinem abfälligen Tonfall betroffen war.
     Noch leiser als vorher sagte sie: »Erinnert Ihr Euch, wie Ihr mir in Odos Haus die Verzierungen an den Wänden beschrieben
     habt? Könnt Ihr … könnt Ihr dasselbe mit dem machen, was Ihr jetzt zeichnet?«
    Das war nicht gerecht. Germunt holte tief Luft und wußte im selben Moment, daß auch Stilla sein Atmen hören konnte. Wieso
     mußte sie ihn an diesen Tag erinnern? Er spürte den Schmerz so frisch, als habe er erst vor einer Stunde vor ihr gestanden
     und ihr erklärt, daß er nur um ihretwillen gekommen sei. Sie hatte ihn doch abgewiesen. Was wollte sie jetzt hier?
    Ein winziger Hoffnungsfunke leuchtete hinter seiner umwölkten Stirn auf. Wollte sie vielleicht ihre Entscheidung ändern? Er
     wußte, jedes Licht würde die Dunkelheit schwärzer machen, wenn sie gegangen war. Er wollte kein Licht.
    Ich will kein Licht,
sagte er laut in seinen Gedanken. Woher der Satz kam, den er jetzt aussprach, wußte er nicht. »Es gibt keinen Platz für mich
     auf dieser Welt.«
    |253| »Doch, den gibt es.«
    Er schob mit zitternden Fingern sein Pergament beiseite und entrollte ein anderes. »Hier steht ein –« Die Stimme brach ihm
     weg, und er mußte sich räuspern. »Hier steht ein Reiter. Seine Lanze bildet die eine Seite des Buchstaben H.« Er stockte.
     »Ihr wißt nichts von Buchstaben, natürlich nicht.«
    »Nein.«
    »Das macht nichts, wirklich. Ich muß es nur anders erklären. Für das Schreiben bringt man Figuren auf das Pergament. Die Bilder,
     die ich zeichne, fügen sich darin ein, bilden einen Teil von ihnen. Unter dem Reiter rankt eine grüne Pflanze, Efeu, und sie
     wächst in kleinen Bögen neben dem Schriftblock der Urkunde abwärts, streckt ihre feinen Blätter von sich.«
    »Was zeichnet Ihr noch?«
    »Bären und Falken, Rosen, Pferde, Krieger, Mönche, Bücher. Viele Dinge.«
    Es war still. Germunt drehte sich zu Stilla um. Sie preßte die sanften Lippen aufeinander, und ihre Nasenflügel bebten. »Ich
     muß mich bei Euch entschuldigen.«
    »Warum?«
    »Ich war wütend auf Euch, weil Ihr mich gern hattet. Heute weiß ich, wie das kommt. Ich habe die Liebe meiner Eltern verloren,
     als ich sie noch dringend gebraucht hätte, und ich wollte nicht wieder eine Liebe verlieren. Deswegen habe ich sie von mir
     gewiesen. Und deswegen habe ich Euch … verraten.«
    »Verraten? An wen verraten?«
    »Als der Spielmann von Euch gesungen hat, war nur ich da, die es hören konnte. Hätte ich geschwiegen, hätte niemand hier von
     Eurer Geschichte erfahren. Aber ich war ärgerlich, weil Ihr mich angelogen habt und weil ich nicht wollte, daß Ihr mich mögt,
     und da habe ich die Sache vor den Bischof gebracht. Es ist meine Schuld.«
    Germunt schluckte. Aber dann mußte er lächeln. »Clau dius |254| hat mir seinen Schutz zugesichert. Ich müßte Euch eigentlich danken. Jetzt kann ich die Wahrheit sagen und trotzdem hier leben.«
    »Aber man stellt Euch nach, man haßt Euch.«
    »Das ist mein Schicksal.«
    Langsam hob Stilla ihre rechte Hand. Sie erreichte Germunts Gesicht, strich ihm mit den Fingerspitzen über die Wange. Germunt
     fühlte aus dem Funken einen herrlichen Sonnenaufgang werden. Soviel Wärme wallte in ihm auf, daß es ihm Tränen in die

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