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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Holzschwert sehen sollen. Ich habe es geliebt! Als ich noch Vaters Sohn war,
     durfte ich ungestraft damit die Hühner über den Hof jagen oder nach den Ziegen und Schafen ausholen. Nur an den Ziegenbock
     habe ich mich nicht herangetraut.«
    »Ich kann mir dein schlammverschmiertes Gesicht vorstellen, das Ärmchen mit dem Schwert erhoben …« Stilla lachte.
    »Womit hast du gespielt?«
    »Ich hatte einige Tiere aus Holz. Oft mußte ich aber Flachs waschen und brechen.«
    »Das ist ungerecht. Ich durfte spielen, durfte reiten, und du mußtest arbeiten.«
    |260| Stilla schüttelte den Kopf. »Wart ihr reich, ich meine, dein Vater?«
    »Und wie. Mein Vater hat seinen Wein aus einem Kelch von blaugefärbtem Glas getrunken, meistens, wenn Gäste da waren. Bis
     meine Mutter und ich verstoßen wurden, haben wir nachts auf federgefüllten Kissen geschlafen und hatten in unserem Raum Stühle
     mit gepolsterter Lehne. Besonders stolz war ich als Kind auf mein Wams aus Marderfell, das hatte ich jeden Tag an.«
    »Entsprechend abgewetzt wird es gewesen sein.«
    »Glaubst du, das hat mich gekümmert? Besser als die groben Hemden der Bauern war es allemal.«
    »Du warst also stolz auf deinen Rang.«
    »Nein, nicht auf den Rang, mehr auf meinen Vater, und meine Kleidung zeigte doch, daß ich zu ihm gehörte.«
    Sie schwiegen. Kraftvoll stieß Germunt das hölzerne Spatenblatt in den Boden. Wurzelwerk knirschte, und es roch nach feuchter
     Erde.
    »Aber ich habe nicht nur getan, was er mir befohlen hat. Zum Beispiel durfte ich nicht um die Fronhäuser auf unserem Gut herumschleichen.
     Gerade deshalb bin ich oft dort gewesen, habe durch Ritzen in der Wand die Frauen beobachtet, wie sie mit Disteln die Wolle
     gestrichen haben, wie sie sie gesponnen und gewebt haben.«
    »Warum hat man dir das verboten?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Durftest du keine Frauen sehen?«
    »Doch, natürlich. Aber die Frauen in den Fronhäusern waren Unfreie, Sklavinnen also. Es hat sich wohl nicht geziemt, in ihrer
     Nähe zu spielen.« Einen Moment zögerte Germunt.
Soll ich fragen?
»Was … was ist mit deinen Eltern geschehen?«
    »Sie sind tot.«
    »Ich weiß. Aber du bist doch noch jung, sie könnten noch am Leben sein.«
    »Als ich ein Kind war, sind sie gestorben. Räuber.«
    |261| »Verstehe.«
    Plötzlich schluchzte Stilla auf. »Nein, du verstehst nicht!« Sie erhob sich aus der Hocke, redete laut, schnell. »Ich habe
     sie verzweifelt gesucht, bin aus der Stadt herausgelaufen, obwohl ich nicht mal sehen konnte, ob der Weg eine Biegung macht
     – nur nach dem Gehör bin ich vorangestolpert, habe gelauscht, ob es knirscht unter den Füßen oder ob da Gras die Schritte
     dämpft. Was blieb mir denn anderes übrig? Ich wußte, daß etwas passiert sein mußte, aber keiner wollte mir glauben, mir helfen,
     mit mir nach ihnen suchen! Also bin ich gelaufen, immer weiter, immer weiter, und dann habe ich meinen Vater gehört, der um
     Hilfe gerufen hat. Geröchelt hat er nur noch, geächzt. Mutter war schon tot, und er lag da am Wegrand, hielt sie in den Armen.
     Ich war ein Kind, verstehst du? Vater ist gestorben, seine Hand in meiner.«
    Germunt hatte den Spaten in die Büsche sinken lassen und war hinter sie getreten. Er legte ihr den Arm auf die Schultern,
     spürte, wie sie zitterte. »Es tut mir leid.«
    »Wäre ich nicht blind, dann hätte …«
    »Schhhhhh.«
    »Ich hätte sie vielleicht rechtzeitig gefunden, und sie wären vielleicht wieder gesund geworden.«
    Germunt zog Stilla an sich und hielt sie so lange umarmt, bis das Zittern aufgehört hatte und das Schluchzen. Ganz ruhig wurde
     sie, und für den Rest des Tages schwiegen beide.
     
    War Germunt mit Tätigkeiten beschäftigt, die Stilla nicht erledigen konnte, drängte es ihn oft, sie ihr zu erklären. Es berauschte
     ihn, wenn er ihr bei etwas helfen konnte, das sie noch nie getan hatte. Einmal versuchte er sogar, ihr das Schreiben beizubringen.
     Er streute Mehl auf den Tisch, ergriff Stillas Hand und führte sie in den Schlangenlinien des Buchstaben S durch das Mehl.
     Dann ließ er sie fühlen, was sie gezeichnet hatte.
    |262| »Das ist der erste Buchstabe deines Namens.«
    »Hat mein Name mehrere … Buchstaben? Warum?«
    »Ein einzelner Buchstabe steht nur für einen einzigen Laut. Wenn du deinen Namen genau aussprichst, merkst du bestimmt, daß
     man ihn nicht rufen kann, wie die Tiere rufen, die jedes nur einen Buchstaben kennen.«
    Gedankenverloren tastete Stilla über die

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