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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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eine Spindel!« rief eine Kinderstimme. Sofort bildete sich ein Chor: »Ein Mädchen, ein Mädchen!«
    Erst als zwei Jahre später die Mutter verkauft wurde und er fortan allein hauste, kehrte eine Winzigkeit Respekt in die Blicke
     der anderen zurück. Ein einziges Mal geschah es noch, daß er zum Anführer gewählt wurde, zwar nicht zum Führer der Franken,
     aber doch wenigstens zum Barbarenherr der Sachsen. Obwohl seine Gruppe den Kampf gewonnen hatte, zwangen ihn die anderen,
     sich als besiegt zu erklären. Und sie nannten ihn den »feigen Bastard«.
    Germunt löste seinen Blick von den Kindern, krampfte die Hände zu Fäusten und löste sie wieder.
Es ist ja vorbei,
sagte er sich.
Denk nicht mehr daran.
Wenn nur die Kränkung nicht so tief sitzen würde …
    An jeder Ecke gab es heiße Innereien, Brühe oder Backwerk zu kaufen. Wenn Germunt an diesen Ständen vorbeilief, legte sich
     der warme Essensgeruch erholsam über die |250| saure, von Küchenabfällen, Urin und Kot geschwängerte Luft. Aber die Münze in seiner Hand war für Pech und Fett bestimmt.
    Gerade gab er seine Bestellung auf, da sah er sie: Stilla, zwei Männer, deren Gesichter er schon einmal gesehen hatte, und
     eine ihm unbekannte ältere Frau. Er hörte auf zu sprechen, aber Stilla schien seine Stimme schon gehört zu haben. Sie hatte
     den Kopf in seine Richtung gewendet. Ohne auf ihre Begleiter zu achten, lief sie auf seinen Stand zu. Germunt griff hastig
     nach dem Wechselgeld, nahm den Krug und das Fäßchen und zog sich hinter einen Stand mit geflickter Kleidung zurück. Aus sicherer
     Entfernung beobachtete er, wie Stilla mit dem Pechhändler sprach und sich dann enttäuscht umwandte.
    Er spürte Verzweiflung, erstickte Zuneigung, die eine so tiefe Schlucht für seine Gedanken öffnete, daß er besser umkehrte,
     als dort hineinzusehen. Da hörte er Geschrei am Rand des Platzes. Drei Berittene und mehr als ein Dutzend Büttel waren aufgetaucht.
     Einer der drei Reiter war der Graf.
Der Mann, der versucht hat, mich zu töten. Der, dem ich das steife Bein verdanke.
    Godeoch schrie irgend etwas von Wein und daß man jede Lieferung zuerst ihm anbieten sollte, bevor man sie auf den Markt brachte.
     Auf seinen Befehl hin wurde ein Händler gepackt und fortgeschleppt. Der kleine Mann wehrte sich und zappelte so wild, als
     würde er noch heute in siedendes Öl geworfen. Vielleicht entsprach das der Wahrheit.
    Warum sah der Graf in seine Richtung? Konnte er ihn zwischen den aufgehängten Hemden und Hosen erkennen? Germunt duckte sich.
Nein, er sieht zu Stilla hinüber
.
    Der Reiter gab einen Befehl, zeigte auf den Pechhändler. Mit Fausthieben, Tritten und Drohungen machten die Büttel Platz.
     Den armen Winzer schleppten sie mit sich.
    Die schwarze Mähne des Grafen wallte bei jedem Satz auf, während sein Pferd vortrabte. Er zügelte es in einem Halbkreis und
     sah zu Stilla und ihren Begleitern hinab. |251| »Betet für die Seele des Bischofs. Wie ich gehört habe, wurde er von sarazenischen Säbeln aufgespießt.« Ein breites Lächeln
     erschien auf seinem Gesicht.
    Die zwei Männer stellten sich schützend vor die beiden Frauen, aber Stilla zwängte sich zwischen ihnen hindurch. »Warum seid
     Ihr eigentlich nicht bei den Sarazenen und verteidigt Eure Grafschaft?«
    Godeoch spie zu Boden. »Ich kümmere mich um diese Stadt! Die Verantwortung dafür sollte sowieso allein in meinen Händen liegen.«
    Obwohl man niemanden sprechen sah, erhob sich ein Murmeln unter den Leuten. Der Graf sah bitterböse auf.
    Wehe dir, du tust ihr etwas an,
drohte Germunt ihm in Gedanken.
    »Dem Bischof geht es gut, da bin ich mir sicher. Sprecht mit ihm über ›Verantwortung‹, wenn er wiederkommt.«
    »Die Zeit ist vorbei, in der Claudius Euch beschützen konnte. Ihr wollt doch nicht nach Eurem Augenlicht auch noch Eure Zunge
     verlieren, oder?«
    Die beiden Männer zogen Stilla und ihre Begleiterin mit sich fort, und der Graf gab lachend das Signal zum Aufbruch.
    Durch die vollen stinkenden Straßen arbeitete sich Germunt zum Bischofshof zurück. Er wäre gern zu Stilla gegangen und hätte
     ihr gesagt, daß sie nie wieder so mit dem Grafen sprechen dürfe. Vielleicht würde er auch erwähnen, daß er sich große Sorgen
     gemacht hatte und in der Nähe war, um zwischen sie und die Büttel zu springen. Aber Germunt wußte, wohin das alles führte.
     Er wollte nicht, daß die Wunde wieder aufbrach.
     
    Es fuhr Germunt wie ein Spieß zwischen die Rippen,

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