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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Augen über die Zeilen fliegen, nahm kaum noch bewußt war, daß er las. Es war mehr, als würde das Pergament mit tiefer,
     warmer Stimme zu ihm sprechen. Bei der Wahl der Pergamente traf er keine sorgfältige Wahl, griff einfach eines heraus; anderntags
     stöberte er mitten in einem Buch eine Seite auf, aber immer fesselte es ihn, was Claudius formuliert hatte. Das Denken dieses
     Mannes war so anders! Es unterschied sich von allem, was Germunt in seiner Kindheit gehört und gelernt hatte, von dem, was
     man in den Kirchen predigte, die Germunt auf der Reise nach Tours besucht hatte. Eigentlich mußte er sich eingestehen, daß
     es auch seinen eigenen Vorstellungen widersprach.
    »Sie haben ihre Götzen nicht aufgegeben, sondern sie nur umbenannt. Wenn ihr an die Wand schreibt, Bilder von Petrus und Paulus,
     Jupiter, Saturn oder Merkur zeichnet, dann sind diese Bilder keine Götter, noch sind sie Apostel, sie sind nicht einmal Menschen.
     Der Fehler ist damals und heute derselbe.« Germunt schüttelte erstaunt den Kopf. Wie konnte Claudius so etwas schreiben, Petrus
     und Paulus in der gleichen Zeile mit Jupiter, Saturn und Merkur nennen? War es nicht etwas ganz anderes, die wahren Apostel
     anzubeten, als vor heidnischen Göttern auf die Knie zu gehen? Für Claudius schien es dasselbe zu sein.
    Manchmal hörte Germunt lautes Streiten aus dem Speisesaal, wenn er zur Küche ging, um seine Mahlzeit abzuholen. Dann sah er
     Thomas, Ato und die anderen wieder auf freiem Fuß.
    |248| Es war an einem Tag mit Nieselregen und grauen Wolkenhaufen am Himmel. Die nasse Luft schlug sich auf der Haut nieder; er
     rieb sich die Arme auf dem Weg zur Küche, weil er fror. Bei der Kellertür stand ein halbes Dutzend Leute, und sie hatten die
     Köpfe dicht beieinander. Zuerst wollte Germunt sie nicht weiter beachten, aber dann war ihm, als wäre der breite Rücken des
     Kellermeisters darunter und auch der Blondschopf Atos zu sehen.
Sieh nicht hin,
sagte er sich. Da drehten sich die Männer schon nach ihm um. Sie blickten ihn an, stumm, feindselig, mit vor der Brust verschränkten
     Armen. Thomas spuckte auf den Boden. Obwohl Germunt die Augen sofort zur Küchentür lenkte und nicht mehr von dort wegnahm,
     spürte er, daß sie ihm hinterhersahen. Er aß in der Küche und wartete dort so lange hinter der Tür, bis die Gruppe sich vom
     Hof entfernt hatte.
     
    Am Tag darauf ging die Siegelmasse zur Neige, und Germunt suchte den Kanzler auf, um ihn um Geld zu bitten.
    »Ich verstehe«, winkte der müde ab, »daß Ihr nicht zum Kellermeister gehen möchtet. Anstatt ihn zu Verstand kommen zu lassen,
     hat die Zeit in der verschlossenen Kammer ihn nur noch unleidlicher gemacht.«
    »Was ist geschehen? Habt Ihr befohlen, ihn und die anderen wieder auf freien Fuß zu setzen?«
    »Nein. Aber bitte, es lohnt sich nicht, darüber zu reden.« Eike kramte eine Münze hervor. »Geht nur zum Markt und kauft Pech
     und Fett zum Siegeln.«
    »Gut.«
    Obwohl Germunt wußte, daß es Pech und Fett nur am Markt geben würde, warf er unterwegs kurze Blicke auf die Tische der Händler
     am Straßensaum. Womit auch immer die Menschen etwas verdienen konnten, sie boten es an, und wenn es rostige Nägel waren oder
     gesprungene Tonkrüge. Hinter den Holzhütten ragten Römerruinen auf, und das Krakeelen von Kindern, die in ihnen herumkletterten,
     wehte |249| herüber.
Es ist auf der Straße schon laut genug,
dachte Germunt. Er sah die schmutzigen Münder und stellte sich boshafte Kinderfratzen vor, wie sie den Schwächsten nachäfften.
Diese dünnen Kinderarme haben eine Gewalt, daß es einen erschaudern läßt.
Kinder waren etwas Schreckliches.
    Ich selbst war plötzlich der Schwächste, damals.
Er erin nerte sich an den Tag, als er und seine Mutter vom Herrenhaus in eine Hütte am Dorfrand umziehen mußten. Viel konnten sie
     nicht mit sich tragen: ein paar Kleidungsstücke, ein wenig Hausrat. Die gleichen Kinder, die ihn einst wie selbstverständlich
     als ihren Anführer verehrt hatten, die, die ihm im Wald durch Gebüsch und Unterholz gefolgt waren und willig seine Einteilung
     der Horde in niederträchtige Sachsen und heldenhafte Franken hingenommen hatten, die lachten ihn jetzt aus. Der Stärkste,
     seine rechte Hand vormals, stürmte mit dem Holzschwert hinter einer Hütte hervor und stieß ihn an, als hätte er ihn nicht
     gesehen. »Verzeihung, großer Herr. Es wird nie wieder vorkommen, großer Herr.« Die Kinder grölten.
    »Germunt trägt

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