Der Kalligraph Des Bischofs.
Mehlfläche. »Das ist ein großes Geheimnis.«
Germunt betrachtete das blinde Mädchen. Er sah zum ersten Mal nicht nur ihr Gesicht und ihre Hände, sondern auch bewußt ihren
Körper. Dort, wo der Bauch sein mußte, zog sich ihr Kleid enger zusammen, beschrieb aber auf dem Weg abwärts eine feine Kurve,
die ihn auf seltsame Weise anzog. So, wie sie über das Mehl schwebte, wollte er gern auch mit seinen Händen über diese Kurve
schweben.
»Willst du mir die anderen Laute auch noch zeigen?«
Germunt lächelte. »Gerne!« Er nahm ihre Hand. Gerade als er zum Querbalken des T ansetzen wollte, stockte seine Bewegung.
Es war einer jener Instinkte. Sie waren noch da, in einem Augenschlag war der Staub fortgeblasen, der sich in den letzten
Monaten auf sie gelegt hatte.
»Was ist?«
Germunt stand wie versteinert und hielt Stillas Hand über dem Tisch. Da hallten Hufschläge zwischen den Häusern. »Ich höre
Pferde.« Langsam löste er seine Finger.
»Es kommt doch vor, daß Reiter –«
»Laßt sie nicht in den Keller, hörst du? Ich steige hinunter.«
Ein Pferdewiehern war vor dem Haus zu hören.
»Germunt –«
Die Faustschläge an der Tür trafen ihn wie Hiebe ins Gesicht. Dann strömte Kraft in seine Glieder, von der er nicht sagen
konnte, woher sie kam. Schnell war er an der Bodenklappe, hob den Eisenring an und glitt die Stiege hinab.
Der Kellerraum war niedrig, Germunt konnte nur gebückt |263| stehen. Obwohl es kühl war, spürte er seine Hände und seinen Rücken feucht werden. Einzig durch zwei Risse in der Bodentür
fiel Licht. Germunt preßte sein Ohr gegen die Klappe und lauschte. Die Stimme, die er hörte, erschütterte ihn bis in die Knochen.
Es war hartes, von fränkischer Zunge eingefärbtes Latein.
»Ich bin Hengist von Brunn. In Eurem Haus befindet sich ein Leibeigener meiner Familie.«
Gegen die Macht dieser Kehle wirkten Stillas Worte wie das Piepsen einer Meise. »Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht.«
»Tretet beiseite, Weib, damit ich mich überzeugen kann, daß Ihr nicht lügt.«
Germunt zersprang das Herz.
Er hörte, wie sich Stilla räusperte. »Ihr steht vor dem Haus des Gelehrten Odo, der ein angesehener Mann der Stadt Turin ist.
Ihr habt nicht das Recht, sein Haus zu durchsuchen.«
Plötzlich fühlte Germunt die schwarze Enge des Kellers und wurde sich bewußt, daß es für ihn nur einen Weg nach draußen gab.
Er saß in der Falle, wenn Hengist die Bodenklappe entdeckte.
»Was wißt Ihr von Rechten, Weib?«
Es gab keine Zeit, viel zu überlegen. Germunt hob die Klappe an und schlüpfte hinaus. Als er sie wieder absenken wollte, entglitt
sie seinen Fingern und schlug auf.
»Was war das? Beiseite mit Euch!«
Er war abgesprungen, bevor er Stilla aufschreien hörte, flog hinter den Trog an der Küchenwand. Obwohl er sich die Hände und
Knie aufgeschlagen hatte, blieb er so liegen, wie er gelandet war. Den Schmerz biß er hinunter.
Nun hörte er mehrere Männerstimmen. Sie sprachen Fränkisch.
»Diese Klappe war es. Er steckt dort unten.«
»Wird er bewaffnet sein?«
»Ich rechne nicht damit. Aber man weiß nie.«
|264| Das Fauchen von Schwertern, die aus den Scheiden fuhren, zwang Germunts Blick mit roher Gewalt über den Rand des Trogs. Dort
standen sie: vier Brüder mit edel erhobenen Häuptern. Die roten Locken wallten ihnen wie Feuer über die Schultern. Staub lag
auf ihren Kleidern, aber die verzierten Klingen blitzten so sauber, als würden sie geradezu nach Blut lechzen.
»Wenn er rausgerannt kommt, töten wir ihn?«
»Er wird uns nicht in die Klinge laufen.«
»Bist du sicher? Er weiß doch, was ihm blüht.«
»Wartet.« Hengist winkte seine Brüder heran und begann zu flüstern. Dann stellte er sich breitbeinig hinter die Klappe, den
Schwertknauf erhoben. Ein anderer zog die Klappe mit der Parierstange seines Schwertes nach oben. Eine Weile verharrten sie
so. Schließlich ließen sie die Klappe ganz umschlagen.
Die Brüder umkreisten das Loch, schweigend, die Schwertspitzen nach unten gerichtet.
»Nichts.«
»Ich habe ganz deutlich die Klappe gehört«, zögerte Hengist. »Er könnte sich dort unten in einem Winkel verkrochen haben.«
»Es ist dunkel.«
Einer der Brüder schrie:
» Femina!
Weib! Bring uns ein Licht!«
Nur Momente später erschien Stilla in der Tür, bleich, zitternd, neben ihr Odo. Der Blick des Gelehrten war undurchdringlich.
»Ihr werdet Euch vor dem Grafen verantworten müssen.«
»Ah, der Herr
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