Der Kalligraph Des Bischofs.
des Hauses.« Einer der Brüder deutete mit der Schwertspitze auf Odo. »Wir möchten Euch nichts entwenden. Holen
nur etwas zurück, das uns gehört.«
Odo schwieg und schob Stilla voran, den Brüdern die Lampe zu geben. Es war schwer zu sagen, ob die Flamme mehr zitterte oder
ihre Hand. Sie streckte den Arm so weit aus wie möglich, um dem Rothaarigen fernzubleiben.
|265| »Ich bleibe oben.« Hengist sah seinen Brüdern zu, wie sie die Stiege hinabkletterten.
Wenn es einen Moment gibt, in dem ich hier fortkommen kann, ohne das Leben zu lassen, dann ist es dieser,
schoß es Germunt durch den Kopf. In sprungbereiter Haltung erhob er sich, den Blick gebannt auf Hengist gerichtet, als wollte
er damit Odo signalisieren, daß er ebenfalls dorthin schauen sollte und nicht etwa zu ihm.
Lauf!
Ihm schlug das Herz bis in den Hals, aber seine Beine rührten sich nicht.
Lauf, verdammt!
Germunt zitterte am ganzen Leib. Dann endlich löste sich sein Körper wie ein Pfeil von der Sehne. Er sprang über den Trog,
nutzte seinen Schwung, um Hengist beiseite zu stoßen, hörte ihn aufschreien, humpelte riesige Sätze zur Tür.
Wie in Fetzen zog der Straßenrand an seinen Augen vorbei. Germunt wich Menschen aus, sprang über Körbe, stolperte und fing
sich. Er bog in die Schuhflickergasse ab, in der sich die kleinen Holzhütten aneinanderlehnten, zwängte sich durch einen schmalen
Gang zwischen zwei Hütten und humpelte über die Abfälle zu den gebrochenen Steinmauern der Römer. Sollte er hier auf dem Hof
bleiben?
Zu gefährlich, man sieht mich von den Häusern aus.
Er kletterte auf der anderen Seite über eine Ruinenmauer. »Die alte Hufschmiede«, hieß dieser verlassene Platz. Er lehnte
sich an und keuchte.
Ich hasse mein Bein! Aber vielleicht habe ich sie abgehängt.
Da hörte er ein fürchterliches Geräusch. Tiefes Dröhnen, dann einen Ton, der in ein helles Blöken hinaufschlug. Er wirbelte
erschrocken herum und blickte über die Mauer.
Auf dem Ruinenhof flohen die Ratten vor einem Dutzend gräflicher Büttel, die von zwei der Rotschöpfe angeführt wurden. Man
zeigte auf ihn. Die Gruppe setzte sich in Bewegung.
Furcht pochte, trommelte in Germunts Körper, von den Fußsohlen bis in den Kopf hinauf, in den Fingerspitzen |266| und in den Ohren pulsierte sie, schneller, immer schneller. Ruckartig drehte er sich um und humpelte los, bis er an der Mündung
der Gasse Hengist sah. Er war gefangen.
Der Krieger hielt die Hand an den Schwertknauf. »Dein Ende ist gekommen, Mörder.« Es war die gute Sprache, die er benutzte,
die geliebte Sprache, in der er, Germunt, seine ersten Wörter gesprochen hatte.
Mami. Da.
Er hatte ’wert gesagt anstelle von Schwert, aber es war eben nicht das lateinische
gladius
gewesen, sondern ’wert. Germunt nahm einen bebenden Atemzug.
In fränkischer Sprache werde ich nun verurteilt.
Der Vater hatte, wenn er wirklich außer sich war, Fränkisch mit dem Gesinde geschimpft, auch wenn sie es nicht verstanden.
Aber es war auch Fränkisch gewesen, das er zärtlich gesprochen hatte, wenn Germunt auf seinem Schoß saß und er aus seiner
Kindheit erzählte. Nur damit es noch mehr schmerzte!
Wie konnte er mich nur verstoßen? Ich verabscheue ihn.
Germunt sah rechts und links die Hauswände hinauf. Die Türen waren mit Holz zugenagelt, Ratten huschten den Straßenrand auf und ab.
Habe ich dieses Unglück verdient? War ich es denn, der Adia verstoßen und eine widerwärtige Stiefmutter an ihre Stelle gesetzt
hat?
Obwohl Todesangst ihm die Brust umklammerte, verzog Germunt wütend das Gesicht. »Eure Schwester hat das Ende eher gefunden
als ich. Und sie hatte es verdient, bei Gott!« Die fränkischen Worte schmeckten fremd in seinem Mund. Als er Hengist zusammenzucken
sah, glomm kurz ein Freudenfunke in ihm auf.
»Du wagst es, Gott anzurufen? Die Hölle wird heiß brennen für dich, Bastard!«
»Noch heißer brennt sie für meinen Vater, den Grafen, der seinen Sohn verstoßen hat.«
Hengist zog sein Schwert. »Du sollst endlich deine Strafe finden.« Er kam auf Germunt zu.
Ich will nicht sterben,
schrie es in Germunt auf. Die Augen flatterten ihm, er spürte ein Rasen in sich, das immer |267| schneller wurde, aber kein Flußbett fand, in das es sich hätte ergießen können. Verzweifelt drehte er sich um. Die Büttel
kamen mit ihren Spießen gerade über die Ruinenmauer geklettert.
Plötzlich pfiff es in der Luft, und ein Pfeil steckte vor Hengist im Boden.
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