Der kalte Hauch der Angst
war â¦Â Nach meinem Besuch in der dritten Agentur habe ich aufgegeben. Und hatte kurz Zweifel. Als ich durch Sophies StraÃe ging, kam mir dann eine Idee. Ich glaube an Zeichen. Ich betrat das Gebäude direkt gegenüber Sophies Haus. Ich klopfte an die Loge der Concierge, einer dicken Frau mit aufgedunsenem Gesicht. Ich war ganz unvorbereitet, vielleicht lief deshalb alles so glatt. Ich fragte, ob im Haus eine Wohnung frei sei. Nein, nichts. Zumindest nichts »Lohnendes«. Sofort wurde ich hellhörig. Sie zeigte mir ein Zimmer im obersten Stockwerk. Der Eigentümer lebt ineinem anderen Teil des Landes und vermietet die Wohnung an Studenten. Ich sage »Wohnung«, dabei ist es lediglich ein Zimmer mit Kochnische, und die Toilette ist auf der Etage. Ein Student hat das Zimmer gemietet, trat dann aber vom Mietvertrag zurück, und der Eigentümer hatte noch keine Zeit, einen neuen Mieter zu suchen.
Es ist auf der sechsten Etage. Der Aufzug fährt nur bis zur fünften. Als wir die Treppe hinaufstiegen, versuchte ich mich zu orientieren, und während wir durch den Korridor gingen, vermutete ich, dass Sophies Wohnung nicht weit sein konnte. Gegenüber! Direkt gegenüber! Als wir das Zimmer betraten, riss ich mich trotz des Drangs, gleich zum Fenster zu stürzen, zusammen und tat es nicht. Nach der Besichtigung des Zimmers â ein Blick genügte, denn es gibt nicht das Geringste zu sehen â klärte mich die Concierge in allen Einzelheiten über die Regeln des Zusammenlebens auf, an die sich »ihre« Mieter zu halten haben (eine entmutigende Litanei aus Pflichten und Verboten aller Art); währenddessen ging ich zum Fenster. Sophies Fenster lag genau gegenüber. Das ist schon kein Glück mehr, das grenzt an ein Wunder! Ich gab mich als Interessent mit Vorbehalten, der die Sache erst noch einmal überdenken muss. Das Zimmer ist mit allerlei Trödel möbliert, das Bett ist sicherlich so durchgelegen wie eine Hängematte, aber egal. Indem ich so tat, als würde ich den Wasserhahn prüfen und die Zimmerdecke begutachten, die seit Generationen nicht mehr gestrichen worden war, erkundigte ich mich nach dem Preis. Dann fragte ich, wie ich das Zimmer mieten könne, ja, es sage mir zu. Was müsste ich tun?
Die Concierge hat mich gemustert, als würde sie sich fragen, warum ein Mann, der eindeutig kein Student mehr ist, in so einer Bude wohnen wollte. Ich lächelte. Das kannich gut, und da die Concierge offensichtlich schon lange keine normalen Beziehungen mehr zu Männern hat, habe ich gemerkt, dass sie geschmeichelt war. Ich erzählte ihr, dass ich auÃerhalb von Paris wohnte, beruflich aber häufig in der Hauptstadt zu tun hätte, nicht gern ins Hotel ginge und das Zimmer für ein paar Nächte die Woche bestens sei. Ich lächelte noch breiter. Sie sagte, sie könne den Eigentümer anrufen, und wir gingen wieder hinunter. Ihre Loge wie auch das ganze Haus sind aus dem letzten Jahrhundert, und alles bei dieser Frau schien aus derselben Zeit zu stammen. Es stank nach Möbelpolitur und Gemüsesuppe, was mir Ãbelkeit verursachte. Gerüchen gegenüber bin ich sehr empfindlich.
Ich telefonierte mit dem Eigentümer. Auch er fing mit der Leier der »Anstandsregeln« (!) an, die im Haus zu befolgen seien. Alter Sack! Ich spielte den fügsamen Mieter. Als die Concierge wieder den Hörer nahm, ahnte ich, dass er sie nach ihrem Gefühl fragte, nach ihrer persönlichen Einschätzung von mir. Ich tat so, als würde ich etwas in meinen Taschen suchen, als würde ich mir die Fotos und den grässlichen, pinkelnden Bengel mit der Schildmütze ansehen, welche die Alte auf ihrem Buffet stehen hat. Ich dachte wirklich, so etwas gäbe es gar nicht mehr. Ich hatte die kurze Prüfung ordentlich bestanden. Die Concierge murmelte immer wieder: »Ja, ich denke schon â¦Â« Jedenfalls war Lionel Chalvin um fünf Uhr abends Mieter des Zimmers, er hatte eine exorbitante Kaution sowie drei Monatsmieten im Voraus in bar bezahlt und die Erlaubnis bekommen, sich das Zimmer noch einmal anzuschauen, bevor er ging â angeblich um es auszumessen. Die Hauswirtin hat mir ihr SchneidermaÃband geliehen.
Dieses Mal durfte ich allein hinauf. Ich ging gleich ansFenster. Es ist noch besser, als ich gehofft hatte! Die Etagen der beiden Gebäude sind nicht genau auf derselben Höhe, Sophies
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