Der kalte Hauch der Angst
gegenüber, also meins, hat nur vier Fenster, von denen man in ihre Wohnung schauen könnte. Zwei wurden von innen vernagelt. Mein Fenster ist immer geschlossen und lässt vermuten, dass das Zimmer unbewohnt ist. Links von mir wohnt ein seltsamer Typ, eine Art Musiker oder so was in der Art; keiner weiÃ, was er so treibt, er verlässt das Haus zu den ungewöhnlichsten Stunden, hält sich aber an die allgemein gültigen Regeln. Zwei-, dreimal die Woche höre ich ihn auf Zehenspitzen nach Hause kommen.
Egal, wann die beiden zurückkehren, ich bin auf meinem Beobachtungsposten.
Ich achte besonders auf ihre Gewohnheiten. Gewohnheiten ändert man selten, dabei erholt man sich, es ist etwas Konstantes. Etwas, das man nicht so leicht in Frage stellt. Daran muss ich arbeiten. Im Augenblick begnüge ich mich mit kleinen Dingen. Ich verzeichne zum Beispiel die Dauer bestimmter Handlungen und Bewegungen. So verbringt Sophie zum Duschen und zur Körperpflege mindestens zwanzig Minuten im Bad. Ich finde das viel, aber nun ja, sie ist eine Frau. Dann zieht sie sich den Bademantel überund kehrt zur Gesichtspflege ins Bad zurück, oft geht sie sogar noch ein drittes Mal hinein, um ihr Make-up zu korrigieren.
Nachdem ich das genau registriert hatte, habe ich Vincents Abwesenheit ausgenützt. Als Sophie das Badezimmer betreten hat, bin ich in ihre Wohnung gegangen, habe ihre Armbanduhr genommen, die sie auf die Konsole neben ihrem Bett gelegt hatte, und bin wieder gegangen. Eine schöne Uhr. Die Gravur auf der Rückseite verrät, dass ihr Vater sie ihr I993 zu ihrem Studienabschluss geschenkt hat.
25. August
Gerade habe ich Sophies Vater kennengelernt. Die Ãhnlichkeit ist über jeden Zweifel erhaben. Er kam gestern an. Nach seinem kleinen Koffer zu urteilen, dürfte er nicht lange bleiben. Ein groÃer, schlanker Mann, vornehm, um die sechzig. Sophie liebt ihn abgöttisch. Sie gehen zusammen essen wie Verliebte. Wenn ich sie so sehe, muss ich unweigerlich an die Zeit denken, da Madame Auverney, Sophies Mutter, noch am Leben war. Vermutlich sprechen die beiden über sie. So viel wie ich denken die beiden jedoch nie an sie. Würde sie noch leben, wären wir jetzt nicht hier â¦Â Was für eine Verschwendung!
27. August
Patrick Auverney, geboren am 2. August 1941, 1969 Architekturdiplom (Paris) â 8. November 1969 Hochzeit mit Catherine Lefebvre â 1971 Gründung des Architektenbüros RâVille zusammen mit Samuel Génégaud und Jean-François Bernard (Partner), Sitz erst in der Rue Rambuteau 17, dann Rue de la Tour-Maubourg (Paris) â 1974 Geburt der einzigen Tochter Sophie â 1975 Umzug der Auverneys in die Avenue dâItalie 47, Paris â 24. September 1979 Scheidung â 1980 Hauskauf in Neuville-Sainte-Marie (77. Département), Umzug â 13. Mai 1983 zweite Heirat mit Françoise Barret-Pruvost â 16. Oktober 1987 Autounfall und Tod von Françoise â Verkauf der Firmenanteile noch im selben Jahr â allein lebend â bei den Lokalbehörden seines Bezirks weiterhin als Berater auf dem Gebiet Architektur und Stadtplanung tätig.
28. August
Monsieur Auverney blieb nur drei Tage. Sophie hat ihn auf den Bahnhof gebracht. Da sie arbeiten musste, konnte sie nicht auf seinen Zug warten. Ich bin geblieben. Habe den Mann beobachtet. Ich konnte sogar ein paar Fotos machen.
29. August
In der StraÃe kann man schlecht parken. Selbst im August sieht man Sophie oft ein paar Mal um den Block fahren, bevor sie, manchmal weit entfernt, einen Parkplatz findet.
Normalerweise fahren Sophie und ihr Mann mit der Metro. Den Wagen nimmt sie nur, wenn sie beruflich in einen Vorort fahren oder etwas transportieren muss. In zwei StraÃen hat die Stadt noch keine Parkuhren aufgestellt. Sie sind im ganzen Viertel bekannt, und die wenigen Parkplätze sind schnell belegt. Manchmal fährt Sophie ins nächstgelegene Parkhaus.
Heute Abend kam sie gegen 19 Uhr nach Hause und fand wie so oft um diese Zeit keinen Parkplatz. Sie stellte den Wagen auf dem Behindertenparkplatz ab (das tut man nicht, Sophie, das ist unsozial!), bis sie drei groÃe Pakete in die Wohnung getragen hatte. Dann kam sie blitzschnell wieder herunter. Ich habe gleich gesehen, dass sie ihre Tasche nicht dabeihatte. Die hatte sie oben gelassen. Ich habe keine Sekunde gezögert. Kaum
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