Der kalte Hauch der Angst
mir das auch nur ein, um mich zu beruhigen, aber wenn es anders gewesen wäre, hätte ich es an irgendwelchen Zeichen gemerkt; ansonsten läuft alles gut, alles normal.
Ich weià nicht, was ich denken soll. Die Sache mit dem Notizbuch macht mir wirklich Sorgen.
20. Januar
Es gibt einen Gott für die gerechte Sache. Ich glaube, ich bin noch mal davongekommen. Wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass ich wirklich Angst hatte: Ich habe mich nicht mehr in die Wohnung getraut, denn ich hatte die vage Befürchtung, dass es gefährlich sei, ich eine böse Ãberraschung erleben und mich am Ende schnappen lassen müsste, und ich hatte tatsächlich recht.
Ich legte das leere schwarze Notizbuch wieder in die Schreibtischschublade zurück und musste die ganze Wohnung nach dem anderen Heft durchsuchen. Ich war mir sicher, dass Sophie es nicht bei sich hatte; ihre ewige Angst, Dinge zu verlieren, war meine Rettung. Ich brauchte Zeit, und wenn ich in die Wohnung gehe, bleibe ich ungern zu lange, denn ich weiÃ, dass das nicht gesund ist und ich das Risiko auf ein Mindestmaà reduzieren muss. Ich habe über eine Stunde gebraucht, bis ich das Notizbuch schlieÃlich fand! Ich schwitzte in meinen Gummihandschuhen, immer wieder hielt ich inne und horchte auf Geräusche im Haus, ich wurde nervös, wusste nicht, wie ich dagegen ankämpfen sollte, ich bekam Panik. Und plötzlich entdeckte ich es: in der Toilette hinter dem Spülkasten. Das ist gar nicht gut; das ist ein Zeichen, dass sie misstrauisch geworden ist. Nicht notgedrungen mir gegenüber â¦Â Mir kam der Gedanke, dass sie vielleicht sogar ihrem Vincent misstraut â was ein gutes Zeichen wäre. Ich hatte das Büchlein gerade gefunden, da hörte ich, wie der Schlüssel im Schloss gedreht wurde. Ich war in der Toilette, die Tür stand halb offen, und ich war geistesgegenwärtig genug, nicht die Hand auszustrecken und sie zu schlieÃen: Diese Tür lag am Ende der Diele, direkt gegenüber der Wohnungstür! Wäre Sophie gekommen, so wäre das mein Ende gewesen, Frauen gehen ja immer sofort aufs Klo, wenn sie nach Hause kommen. Es war Vincent, ich hörte Männerschritte. Mein Herz klopfte so heftig, dass ich nichts mehr hörte, ich konnte nicht einmal mehr denken. Panik überkam mich. Vincent ging an der Toilettentür vorbei und gab ihr einen Schubs, das Klacken des Schlosses lähmte mich. Fast wäre ich ohnmächtig geworden, ich musste mich an der Wand festhalten. Mir war speiübel. Vincent ging in sein Arbeitszimmer und schaltete gleich dieStereoanlage ein; komischerweise hat mich meine Panik gerettet. Flugs öffnete ich die Toilettentür und lief wie in Trance auf Zehenspitzen durch den Korridor, schlüpfte durch die Eingangstür und machte sie auch gar nicht mehr zu. Ich flitzte schleunigst die Treppen hinunter. In diesem Moment glaubte ich, dass alles aufgeflogen war, ich alles abbrechen musste. Das stürzte mich in eine tiefe Verzweiflung.
Ich sah Mamas Gesicht vor mir und fing an zu weinen. Als wäre sie gerade ein zweites Mal gestorben. Automatisch umklammerte ich Sophies Notizbuch, das ich in der Tasche hatte. Während ich über die StraÃe ging, flossen meine Tränen.
21. Januar
Als ich die Aufzeichnung abhörte, durchlebte ich die ganze Szene noch einmal. Rückblickend: Welch ein Grauen! Ich höre, wie die Stereoanlage erklingt (ich meine, es sei ein Stück von Bach), ich glaube, auch das Tappen meiner Sohlen auf dem Flur zu hören, aber das Geräusch ist zu schwach. Man hört deutlich Vincents entschlossene Schritte zur Wohnungstür, dann herrscht ziemlich lange Stille, bis man die Tür zuschlagen hört. Wahrscheinlich hat er sich gefragt, ob jemand in die Wohnung eingedrungen ist, vielleicht hat er im Treppenhaus nachgesehen, ist ein paar Stufen hoch- oder runtergestiegen, hat sich übers Geländer gebeugt oder so etwas. Die Tür wurde fest geschlossen. Vielleicht war er im Glauben, er hätte lediglich die Tür nicht richtig hinter sich zugemacht, als er nach Hause gekommen war.
Am Abend hat er Sophie gegenüber den Vorfall überhaupt nicht erwähnt â hätte er es getan, wäre es eine Katastrophe gewesen.
Hatte ich eine Angst!
23. Januar
Eine aufgeregte Mail an Valérie: Am Morgen vor ihrem Termin beim Therapeuten konnte Sophie ihr Notizbuch nicht mehr finden. Sie hatte es auf der
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