Der kalte Hauch der Angst
Toilette versteckt. Dessen ist sie sich ganz sicher, und heute Morgen war es weg. Sophie wird geweint haben. Sie ist gereizt, genervt und müde. Deprimiert.
24. Januar
Sitzung beim Therapeuten. Als Sophie ihm erzählt, dass sie ihr Notizbuch verloren hat, hat er sie beruhigt. So etwas käme vor, sagte er, gerade wenn man zu sehr auf alles achtet. Alles in allem kam er ihr sehr besonnen vor, überhaupt nicht aufgebracht. Sie ist in Tränen ausgebrochen, als sie ihm von dem Traum mit ihrer Schwiegermutter erzählte. Sie musste ihm unweigerlich den Unfall schildern, der sich ganz genauso abgespielt hatte wie in ihrem Traum. Und dass sie sich absolut nicht mehr erinnern kann, was sie an jenem Tag gemacht hat. Er hat ihr ruhig zugehört, auch er glaubt nicht,dass Träume Vorboten von Ereignissen sind. Er hat ihr eine Theorie auseinandergesetzt, die sie nicht richtig verstanden, nicht richtig gehört hat, weil ihr Verstand zu langsam arbeitet. Der Therapeut nennt ihr Problem »kleine Malheurs«. Dennoch hat er sie am Ende der Sitzung gefragt, ob sie sich nicht ein wenig erholen wolle. Das hat ihr am meisten Angst gemacht. Ich glaube, sie hat es als einen Vorschlag interpretiert, sich in einer Klinik behandeln zu lassen. Ich weiÃ, dass sie dieser Gedanke erschreckt.
Valérie antwortet schnell auf Sophies Mails. Sie will ihr zeigen, dass sie ihr beisteht. Sie spürt, dass Sophie ihr nicht alles sagt, und ich weiÃ, dass es so ist. Vielleicht will Sophie mit ihrem Verhalten die Dinge wie durch Magie beeinflussen: Das, worüber sie nicht spricht, das gibt es auch nicht oder unterliegt nicht ihrem schädlichen Einfluss â¦
30. Januar
Diese Geschichte mit der Uhr hat mich langsam zur Verzweiflung gebracht. Vor fast fünf Monaten hat sie die schöne Uhr verloren, die ihr der Vater geschenkt hatte. Doch Gott allein weiÃ, dass sie damals auf der Suche nach ihrer Uhr das ganze Haus auf den Kopf gestellt hat. Nichts zu machen. Die Uhr war eben weg. Sie war echt traurig darüber.
Und auf einmal stöÃt Sophie darauf! Und raten Sie, wo: in der Schmuckschatulle ihrer Mutter. Ganz unten. Klar, sie macht die Schatulle nicht jeden Tag auf, sie trägt diesen Schmuck ja nicht. Aber seit Ende August hat sie sie bestimmt fünf-, sechsmal geöffnet. Sie hat sogar versucht sichzu erinnern, wie oft genau sie während der Ferien die Schatulle aufgemacht hatte, sie hat diese Liste für Valérie aufgestellt, als wolle sie ihr etwas beweisen; das ist hirnrissig. Und dennoch hatte sie diese Uhr nie dort gesehen. Sie lag nicht obenauf, natürlich, aber die Schatulle ist nicht sehr tief, und es liegen ja auch gar nicht so viele Schmuckstücke darin â¦Â AuÃerdem, warum sollte sie die Uhr gerade dort hineinlegen? Das ergab keinen Sinn.
Sophie freut sich nicht einmal richtig, dass sie sie wiedergefunden hat, ihre Uhr. Das ist das Allerletzte.
8. Februar
Dass man Geld verliert, kommt vor, aber dass man zu viel hat, ist selten. Vor allem ist es unerklärlich.
Meine kleinen Freunde Sophie und Vincent haben Pläne. Sophie macht entsprechende Andeutungen in ihren Mails an Valérie. Sie schreibt: »Es ist noch nicht sicher«, und sie würde es ihr bald erzählen, sogar »als Allererster«. Jedenfalls hat Sophie beschlossen, sich von einem kleinen Gemälde zu trennen, das sie vor ein paar Jahren gekauft hatte. Sie gab ihr Vorhaben in ihrem Freundeskreis bekannt und hat das Bild vorgestern verkauft. Dreitausend Euro wollte sie dafür haben. Das schien ein sehr angemessener Preis zu sein. Ein Herr hat sich das Bild angeschaut. Dann eine Dame. Sophie ging auf zweitausendsiebenhundert herunter, unter der Bedingung, dass sie das Geld in bar bekäme. Sie schien zufrieden mit dem Handel. Das Geld steckte sie in einen Umschlag und legte ihn in ihren kleinen Sekretär, aber siehat ungern viel Bargeld im Haus. Also ging Vincent heute Morgen zur Bank, um das Geld einzuzahlen. Und da geschah das Unerklärliche. Vincent brachte diese Geschichte offenbar vollkommen aus der Fassung. Seitdem streiten sie sich pausenlos. In dem Umschlag waren dreitausend Euro. Sophie aber war sich ganz sicher: zweitausendsiebenhundert. Vincent auch: dreitausend. Ich habe es mit einem sehr unnachgiebigen Paar zu tun. Das ist lustig.
Dennoch sieht Vincent seine Frau so merkwürdig an. Er hat sogar zu ihr gesagt, dass sie sich in letzter Zeit »eigenartig benimmt«. Sophie
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