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Der kalte Hauch der Angst

Der kalte Hauch der Angst

Titel: Der kalte Hauch der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Lemaitre
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Fällen spricht man zur Ablenkung über die Arbeit wie alle, die sich eigentlich nichts zu sagen haben. Die immergleichen Witze. Doch irgendwann erwähnte Andrée die Abteilung Kommunikation. Sofort wurde ich hellhörig. Kurz darauf konnte ich das Gespräch auf Sophie lenken, erst auf Umwegen, indem ich meinte, dass große Auktionen sicherlich für alle eine Heidenarbeit bedeuten. Nachdem Andrée die Hälfte der Angestellten Revue passieren ließ, kam sie schließlich auf Sophie zu sprechen. Sie brannte darauf, mir den Hammer mit den Bildern zu erzählen. Sie prustete albern herum, die gute Freundin …
    Â»Ich werde sie vermissen«, sagte Andrée. »Na ja, sie ist schon weg …«
    Ich spitzte die Ohren. Und so erfuhr ich alles. Sophie verlässt Percy’s; aber nicht nur das: Sophie verlässt auch Paris. Dann suchen die beiden seit einigen Monaten also kein Landhaus, sondern ein Haus auf dem Land. Der Gatte wurde vor kurzem zum Leiter einer neuen Forschungsabteilung in Senlis ernannt, und dorthin wollen sie nun ziehen.
    Â»Aber was will sie denn dort nur machen?«, fragte ich Andrée.
    Â»Wie bitte?«
    Sie wirkte sehr erstaunt, dass ich mich dafür interessierte.
    Â»Du hast erzählt, dass sie sehr rührig ist, und so frage ich mich … was sie auf dem Land machen will.«
    Wie bei einer kleinen, harmlosen Verschwörung setzte Andrée eine süffisante Miene auf und verkündete mir, dass Sophie »ein Baby erwartet«. Das war nun keine große Neuigkeit, aber sie setzte mir dennoch zu. In Sophies Zustand erschien mir das sehr unvernünftig.
    Â»Und haben sie etwas gefunden?«, fragte ich.
    Laut Andrée haben sie »ein schönes Haus im Oise gefunden«, nicht weit von der Autobahn entfernt.
    Ein Baby. Und aus diesem Grund gibt Sophie ihre Stelle und ihre Wohnung in Paris auf … Durch die Manipulation des Pressedossiers hoffte ich, Sophie würde eine Weile nicht arbeiten, aber die Schwangerschaft und dann der Wegzug aus Paris … Ich musste über diese neue Gegebenheit nachdenken. Ich bin dann bald aufgebrochen. Ich stammelte etwas daher. Es war spät, ich musste gehen
    Â»Aber du hast ja nicht mal deinen Kaffee getrunken«, beschwerte sich der Fettkloß.
    Kaffee, dass ich nicht lache! Ich nahm meine Jacke und ging zur Tür.
    Wie das dann passiert ist, weiß ich überhaupt nicht mehr. Andrée begleitete mich zur Tür. Sie hatte sich den Abend mit mir ganz anders vorgestellt. Sie sagte, es sei schade, es sei doch noch gar nicht so spät, schon gar nicht für einen Freitagabend. Ich stotterte herum – dass ich am nächsten Tag arbeiten müsse. Andrée war mir nun nicht mehr von Nutzen, aber um es mir nicht ganz mit ihr zu verderben, sagte ich ihr ein paar Worte, die sie beruhigen sollten. Und da stürzte sie sich auf mich. Sie drückte mich an sich, küsste mich auf den Hals. Sie muss wohl meinen Widerwillen gespürt haben. Ich weiß nicht mehr, was sie gesäuselt hat, sie schlug vor, sich »um mich zu kümmern«, sie sei sehr geduldig, ich müsse überhaupt keine Angst haben, schließlich sei so etwas … Nichts wäre passiert, wenn sie mir zur Ermutigung nicht auch noch die Hand auf den Bauch gelegt hätte. Ganz unten. Ich hatte aber bereits genug von ihrer Gängelei. Nach diesem Abend und den Neuigkeiten, die ich gerade erfahren hatte, war das zu viel.
    Ich stand fast mit dem Rücken an der Tür und stießAndrée grob zurücke. Sie war überrascht von meiner Reaktion, wollte aber ihren Vorteil weiter ausnutzen. Sie lächelte, und dieses Lächeln war so grauenerregend, so begehrlich … bei hässlichen Frauen ist sexuelle Lust so drängend … Ich konnte mich nicht mehr beherrschen. Ich schlug zu. Sehr heftig. Automatisch fuhr sie sich mit der Hand an die Wange. Aus ihrem Blick sprach völlige Verblüffung.
    Ich wurde mir der Ungeheuerlichkeit der Situation und Andrées Nutzlosigkeit bewusst. Ich erinnerte mich an alles, was ich mit ihr hatte unternehmen müssen. Und schlug ein zweites Mal zu, auf die andere Seite, und noch einmal, bis sie anfing zu weinen. Ich hatte keine Angst mehr. Ich blickte mich um, das Zimmer, der gedeckte Tisch mit den Essensresten, das Sofa, der Couchtisch mit den Kaffeetassen, die wir nicht angerührt hatten. All das hat mich zutiefst angewidert.

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