Der kalte Hauch der Angst
ich sie ab. Ich halte das für das Beste.«
»Gut. Wenn sie zurück ist, muss sie aufs Revier kommen. Papiere unterschreiben. Sagen Sie ihr, es hat keine Eile! Sie soll sich erst einmal erholen.«
Und kurz bevor er auflegt, fragt Jondrette: »Sagen Sie â¦Â Da ist noch eine Sache â¦Â Sie sind noch nicht lange verheiratet â¦Â«
»Bald ein halbes Jahr.«
Jondrette schweigt. Am Telefon hat er jetzt bestimmt wieder seinen forschenden Blick aufgesetzt.
»Und das â¦Â was sie getan hat â¦Â glauben Sie, dass das etwas mit Ihrer Ehe zu tun hat?«
Frantz antwortet intuitiv: »Sie war schon vor unserer Hochzeit ein wenig depressiv â¦Â Aber, nun ja, es ist natürlich nicht ausgeschlossen. Ich werde mit ihr darüber sprechen.«
»Das ist das Beste, Monsieur Berg. Glauben Sie mir, das ist das Beste. Danke, dass Sie uns so schnell benachrichtigt haben. Reden Sie mit Ihrer Gattin darüber, wenn Sie sie abholen â¦Â«
Die Rue Courfeyrac liegt ganz in der Nähe der Place Bellecour. Ein schönes Viertel. Frantz hat noch einmal einenInternet-Spaziergang dort gemacht, hat aber nichts anderes herausgefunden als schon vor zwei Jahren.
Es war schwer, einen Beobachtungsposten zu finden. Gestern musste er häufig das Café wechseln. Heute Morgen hat er sich einen Wagen gemietet, in dem er das Haus besser überwachen und Valérie, wenn nötig, folgen kann. Damals, als sie eng mit Sophie befreundet war, hat sie in einer Spedition gearbeitet, nun ist sie in der Firma eines jungen Mannes tätig, der genauso nutzlos und reich ist wie sie, und der meint, er hätte das Zeug zum Modedesigner. Eine dieser Firmen, in der man sich zwei Jahre lang ein Bein ausreiÃen kann und dann feststellt, dass das Ganze nicht das Geringste einbringt. Doch in diesem Fall ist das weder für Valérie noch für ihren Freund von Bedeutung. Morgens verlässt sie zügigen und entschlossenen Schritts das Haus und nimmt ein Taxi zu ihrem Arbeitsplatz an der Place Bellecour.
Als Frantz sie auf der StraÃe sah, wusste er gleich, dass Sophie nicht hier war. Valérie ist ein »offenes Buch«; sie tut alles offen. An ihrem Schritt, ihrem Gang erkannte Frantz, dass sie keine Sorgen, keine Probleme hat. Der Gang dieser Frau verrät Sicherheit und das Fehlen jeglicher Schwierigkeiten. Er ist sich eigentlich sicher, dass Sophie nicht zu ihr geflüchtet ist. Im Ãbrigen ist Valérie Jourdain viel zu egoistisch, um Sophie Duguet, einer landesweit polizeilich gesuchten mehrfachen Mörderin, bei sich Unterschlupf zu gewähren, auch wenn es ihre Sandkastenfreundin ist. Bei dieser Frau gibt es Grenzen, und die sind eng gesteckt.
Und wenn doch? Als Valérie das Haus verlassen hatte, ist er in ihre Etage hochgegangen. Sicherheitstür, dreifaches Schloss. Er hat das Ohr an die Tür gedrückt und eine Weile gehorcht. Immer wenn ein Hausbewohner kam oder ging, hat er so getan, als würde er die Treppen hinauf- oderhinuntergehen, und dann wieder seinen Posten bezogen. Kein Geräusch. Diese Operation hat er über den Tag verteilt noch viermal durchgeführt. Insgesamt hat er über drei Stunden lauschend an der Tür verbracht. Nach achtzehn Uhr konnte er wegen der Geräusche in den Wohnungen, Fernseher, Radio, Stimmgewirr, selbst wenn sie nur gedämpft zu hören waren, nicht mehr ausmachen, ob heimliche Geräusche verrieten, dass sich irgendjemand in Valéries angeblich leerer Wohnung aufhielt.
Als die junge Frau abends gegen acht Uhr nach Hause kam, stand Frantz im Treppenhaus ein paar Stufen oberhalb ihrer Etage. Valérie schloss schweigend die Tür auf. Gleich drückte er wieder sein Ohr an die Tür. Eine Weile lang nahm er Alltagsgeräusche (Küche, Toilette, Schubladen â¦) wahr, dann Musik und schlieÃlich nicht sehr weit vom Eingang entfernt Valéries Stimme am Telefon. Eine klare Stimme. Sie scherzt, sagt dann aber, nein, sie gehe heute Abend nicht mehr aus, sei mit ihrer Arbeit im Verzug. Sie legt auf. Geräusche aus der Küche, Radio â¦
Er ist sich nicht ganz sicher in seiner Entscheidung, beschlieÃt aber, sich auf sein Gespür zu verlassen. Schnell geht er aus dem Wohnhaus. Das Département Seine-et-Marne ist nur knapp vier Stunden entfernt.
Neuville-Sainte-Marie. ZweiunddreiÃig Kilometer von Melun entfernt. Frantz hat zuerst ein paar Runden gedreht, um
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