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Der kalte Hauch der Angst

Der kalte Hauch der Angst

Titel: Der kalte Hauch der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Lemaitre
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herauszukriegen, ob die Polizei das Haus überwacht. Am Anfang war das sicherlich der Fall gewesen, aber für eine Langzeitobservation fehlen die Mittel. Und solange die öffentliche Meinung nicht wegen eines weiteren Mordes aufschreit …
    Er hat den Mietwagen am Stadtrand auf dem Parkplatzeines Supermarkts abgestellt. Nach vierzig Minuten war er zu Fuß in einem kleinen Wäldchen und in einem aufgelassenen Steinbruch, er stieg über den Zaun; von dort oben hat er einen recht guten Blick auf das Haus. Es herrscht nicht viel Verkehr hier, vielleicht kommen in der Nacht einige Paare. Sie kommen mit dem Auto. Er läuft also keinerlei Gefahr, entdeckt zu werden, die Scheinwerfer werden ihn warnen.
    Monsieur Auverney ist nur dreimal aus der Tür gekommen. Das erste Mal hat er die Wäsche geholt. Die Waschküche befindet sich in einem Anbau, zu dem man offenbar vom Haus keinen direkten Zugang hat; das zweite Mal ist er zum Briefkasten gegangen, der etwa fünfzig Meter vom Haus entfernt ein Stück unterhalb des Weges angebracht ist. Beim dritten Mal ist er mit dem Wagen weggefahren. Frantz war kurz unschlüssig. Sollte er ihm folgen? Bleiben? Er blieb. Er hätte ihm in so einem kleinen Dorf ja auch gar nicht zu Fuß folgen können.
    Patrick Auverney blieb eine Stunde und siebenundzwanzig Minuten weg; während dieser Zeit hat Frantz das Haus in allen Einzelheiten durchs Fernglas inspiziert. So sicher er an Valéries Schritt meinte sehen zu können, dass Sophie nicht bei ihrer Freundin war, so unsicher fühlt er sich jetzt. Vielleicht hofft er nun auf eine schnelle Lösung, nachdem die Zeit vergeht, die Stunden mit besorgniserregendem Tempo verstreichen. Doch auch eine andere Sorge bewegt ihn zu warten: Sollte Sophie nicht hier sein, hat er keine Ahnung, wohin sie gegangen sein könnte. Sie ist hochdepressiv, hat versucht, sich das Leben zu nehmen. Sie ist äußert labil. Seit er erfahren hat, dass sie aus der Klinik abgehauen ist, lässt seine Wut nicht nach. Er will sie zurückholen. »Wir müssen es zu Ende bringen«, sagt er sich immer wieder. Er macht sich Vorwürfe, weil er zu lange gewartet hat. Hätteer es nicht vorher abschließen können? Hatte er denn nicht schon alles bekommen, was er wollte? Er will sie zurückholen, und dann ist Schluss.
    Frantz fragt sich, was in diesem Augenblick in Sophies Kopf vorgeht. Und ob sie ein zweites Mal sterben wollte. Nein, dann wäre sie nicht abgehauen. In einer Klinik gibt es viele Möglichkeiten Schluss zu machen, es ist mit Sicherheit der Ort, wo Sterben am einfachsten ist. Sie hätte sich wieder die Pulsadern aufschneiden können, die Krankenschwestern schauen ja nicht alle fünf Minuten nach den Patienten … Warum also ist sie geflüchtet?, fragt er sich. Sophie ist völlig verloren. Als sie das erste Mal weggerannt ist, saß sie drei Stunden lang in einem Café, dann ging sie nach Hause, ohne sich überhaupt daran erinnern zu können, was sie gemacht hatte. Also sieht er keine andere Möglichkeit: Sophie ist ohne Plan aus der Klinik geflüchtet, ohne Ziel. Sie ist nicht einfach weggelaufen – sie will sich retten. Will ihrem Wahnsinn entfliehen. Irgendwann wird sie einen Unterschlupf suchen. So sehr er die Frage auch dreht und wendet – er wüsste nicht, wo eine gesuchte Mörderin Hilfe suchen sollte, wenn nicht bei ihrem Vater. Um Marianne Leblanc zu werden, musste Sophie alle Beziehungen kappen. Es sei denn, sie wäre völlig aufs Geratewohl weggerannt (und dann müsste sie bald wieder nach Hause kommen), könnte sie nur hier bei ihrem Vater Zuflucht finden. Alles eine Frage der Geduld.
    Frantz stellt das Fernglas scharf und beobachtet Monsieur Auverney, der den Wagen in die Scheune fährt.
    Sie hat noch Arbeit, aber es war ein langer Tag und sie hat es eilig, nach Hause zu kommen. Gewöhnlich fängt sie spät an und macht nicht vor halb acht, manchmal neun Uhr abends Feierabend. Als sie geht, sagt sie, sie käme morgenlieber früher, wusste aber natürlich, dass das nicht der Fall wäre. Während der Fahrt sagt sie sich immer wieder vor, was sie machen kann und was nicht, was sie machen darf und was nicht. Und das ist sehr schwierig, wenn man noch nie sehr diszipliniert war. Im Taxi blättert sie gedankenverloren in einer Zeitschrift. Auf der Straße blickt sie sich nicht um. Sie gibt den Türcode ein,

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