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Der kalte Hauch der Angst

Der kalte Hauch der Angst

Titel: Der kalte Hauch der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Lemaitre
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sich gezwungen, den Raum zu verlassen. Der Arzt setzt sich auf den Stuhl.
    Â»Ich frage Sie nicht, wie es Ihnen geht. Ich ahne es. Sie müssen auf jeden Fall einen Spezialisten aufsuchen.«
    Das hat er in einem Atemzug gesagt, einer von den Ärzten, die gleich auf den Punkt kommen.
    Â»Wir haben hier sehr gute Leute. Sie können mit jemandem reden.«
    Sophie sieht ihn an. Er muss merken, dass sie mit den Gedanken woanders ist, also macht er Nägel mit Köpfen.
    Â»Alles andere sah schlimmer aus, als es war …« Er besinnt sich gleich. »Wäre Ihr Mann nicht gewesen, dann wären Sie jetzt bestimmt tot.«
    Er hat das stärkste Wort gewählt, das brutalste, um ihre Reaktion zu testen. Sie beschließt, ihm entgegenzukommen, denn sie weiß sehr gut, woran sie ist.
    Â»Wird schon gehen.«
    Mehr fällt ihr nicht ein. Aber es stimmt. Sie denkt, dass es irgendwie gehen wird. Der Arzt schlägt sich mit beiden Händen auf die Knie und steht auf. Bevor er hinausgeht, deutet er auf die Tür und fragt: »Soll ich mit ihm sprechen?«
    Sophie winkt ab, das genügt jedoch nicht als Antwort. Sie sagt: »Nein, das mache ich schon.«
    Â»Ich hatte Angst, weißt du …«
    Frantz lächelt verlegen. Die Stunde der Erklärungen ist gekommen. Sophie hat keine. Was könnte sie ihm sagen? Sie zwingt sich zu einem Lächeln.
    Â»Ich erkläre es dir, wenn ich wieder zu Hause bin, nicht hier …«
    Frantz tut so, als würde er das verstehen.
    Â»Es geht um den Teil meines Lebens, von dem ich dir noch nie etwas erzählt habe, ich werde dir alles erklären.«
    Â»Ist es denn so schlimm?«
    Â»Ja. Danach musst du selbst entscheiden …«
    Er bewegt den Kopf, ein Zeichen, das schwer zu deuten ist.
    Sophie schließt die Augen. Sie ist nicht müde, sie will allein sein. Sie braucht Informationen.
    Â»Habe ich lange geschlafen?«
    Â»Fast sechsunddreißig Stunden.«
    Â»Und wo sind wir hier?«
    Â»In der Klinik Anciennes Ursulines, es ist die beste hier in der Gegend.«
    Â»Wie spät ist es? Ist Besuchszeit?«
    Â»Fast zwölf. Besuchszeit ist erst ab zwei Uhr, aber man hat mir erlaubt zu bleiben.«
    Normalerweise hätte er etwas hinzugefügt wie »inAnbetracht der Umstände«, doch dieses Mal hält er sich an kurze Sätze. Sie merkt, dass er in Fahrt kommt, sie lässt ihn machen.
    Â»All das … (Er deutet auf die Verbände an ihren Handgelenken.) Ist das wegen uns? Weil es nicht gut läuft? Ist es deswegen?«
    Sie würde lächeln, wenn sie könnte. Aber sie kann nicht, sie will nicht. Sie muss sich an ihren Plan halten. Sie krümmt drei Finger unter seiner Hand.
    Â»Ãœberhaupt nicht. Keine Sorge. Du bist sehr nett.«
    Das Wort gefällt ihm nicht, doch er kann damit leben. Er ist ein netter Ehemann. Was könnte er auch anderes sein? Sophie würde gern fragen, wo ihre Sachen sind, aber sie schließt nur die Augen. Sie braucht nichts mehr.
    Auf der Wanduhr im Flur ist es 19 Uhr 44. Die Besuchszeit ist seit über einer halben Stunde zu Ende, aber in dieser Klinik scheint man es mit den Regeln nicht so genau zu nehmen, aus den Zimmern sind noch Gespräche zu hören. Es riecht nach Abendessen, nach klarer Suppe und Kohl. Wie stellen diese Kliniken es an, immer genau gleich zu riechen? Am Ende des Gangs dringt graues Licht durch ein großes Fenster. Vor ein paar Minuten hat sich Sophie in der Klinik verlaufen. Eine Krankenschwester aus dem Erdgeschoss hat ihr geholfen, wieder in ihr Zimmer zurückzufinden. Nun kennt sie sich aus. Sie hat die Tür gesehen, die auf den Parkplatz führt. Sie muss nur siegessicher am Schwesternzimmer ihrer Etage vorbeigehen, und dann ist sie draußen. Im Schrank hat sie Kleider gefunden, die Frantz im Hinblick auf ihre Entlassung gebracht haben muss. Kleider, die nicht zusammenpassen. Sie wartet, den Blick auf die Tür gerichtet, die zum Flur hin einen kleinen Spaltbreit offen steht. DieKrankenschwester heißt Jenny. Eine schlanke Frau mit wiegendem Gang und blonden Strähnchen. Sie riecht nach Kampfer. Sie geht mit ruhigem und entschlossenem Schritt. Mit den Händen in den Taschen ihres Kittels kam sie gerade aus dem Schwesternzimmer. Das macht sie, wenn sie vor der Tür eine rauchen will. Die Krankenschwester drückt die Flügeltür auf, die zu den Aufzügen führt. Sophie zählt bis fünf, dann

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