Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
lernt.«
»Und wer ist sein Onkel?«
Hicks sah die beiden wieder erstaunt an. Offenbar konnte er nicht glauben, dass sie auch das nicht wussten.
»Bryce Callan«, erklärte er und klopfte wieder mit dem Hammer gegen das Holzstück. »Barry ist der Sohn von Bryce' Schwester. Exzellente Beziehungen, was? Kein Wunder, dass der Bursche es zu was gebracht hat.«
22
Rebus fuhr gemeinsam mit Siobhan nach Roslin hinaus. Sie saß am Steuer, während er auf dem Handy einen Anruf entgegennahm. Als das Gespräch beendet war, drehte er sich auf dem Beifahrersitz in ihre Richtung.
»Das war Grant Hood. Bei den Umbauarbeiten in Queensberry House vor zwanzig Jahren war auch ein Neffe von Bryce Callan dabei, ein gewisser…«
»Barry Hutton«, unterbrach sie ihn.
»Kennen Sie den Mann?«
»Er ist Ende dreißig, unverheiratet und stinkreich. Natürlich hab ich von ihm gehört. Vor einiger Zeit bin ich abends mal mit einer Single-Gruppe weggegangen.« Sie sah ihn an. »Natürlich rein beruflich. Einige von den Frauen haben sich über die attraktivsten Junggesellen unterhalten. Offenbar hatten sie was über Hutton in einer Zeitschrift gelesen. Soll sehr gut aussehen.« Sie sah wieder Rebus an. »Aber der Typ ist doch sauber, nicht wahr? Ich meine, er hat doch geschäftlich mit seinem Onkel nichts zu tun.«
»Nein.« Trotzdem war Rebus nachdenklich. Was hatte Cafferty noch einmal über Bryce Callan gesagt? Er hat doch Verwandtschaft. Sollen die sich doch um ihn kümmern – oder so ähnlich.
Als sie jetzt nach Roslin hereinkamen und sich der Kapelle näherten, wollte Siobhan wissen, wieso sich die Rosslyn-Ka-pelle anders schrieb als der Ort selbst.
»Auch das gehört zu den unergründlichen Mysterien der Kapelle«, sagte Rebus. »Vermutlich steckt wieder so eine Verschwörung dahinter.«
»Ich wollte unbedingt, dass Sie sich die Kapelle mal persönlich anschauen«, sagte Gerald Sithing, als er sie auf dem Parkplatz begrüßte. Er hatte eine knielange blaue Regenjacke an. Darunter trug er ein Tweed-Jackett und eine weit geschnittene braune Cordhose. Er schüttelte Rebus die Hand, war aber gegenüber Siobhan auf Distanz bedacht.
Von außen machte die eingerüstete Kapelle keinen besonders imposanten Eindruck.
»Wir müssen zuerst die Wände trockenlegen, bevor wir mit den eigentlichen Restaurierungsarbeiten anfangen können«, sagte Sithing. »Danach verschwindet das Gerüst natürlich wieder.«
Er führte sie in das Innere der Kapelle. Obwohl Siobhan ungefähr wusste, was sie dort erwartete, war sie tief beeindruckt. Der Raum konnte es in punkto Dekor mit jeder Kathedrale aufnehmen. Außerdem kamen die Steinreliefs gerade deshalb so eindrucksvoll zur Geltung, weil die Kapelle so klein war. Die Decke war mit kunstvoll gearbeiteten Steinblumen geschmückt. Auch die Pfeiler waren reich verziert. Gesteigert wurde diese Wirkung noch durch die Buntglasfenster. Da die Türen offen standen, war es kühl in dem Raum. Dass die Feuchtigkeit sich in den Wänden festgesetzt hatte, war auch an den grünen Flecken an der Gewölbedecke deutlich zu erkennen.
Rebus stand im Mittelgang und tippte mit dem Fuß gegen den Steinfußboden. »Und irgendwo hier unter dem Boden muss doch das Raumschiff vergraben sein«, sagte er.
Sithing schüttelte den Kopf. Er war so nervös, dass er ganz vergaß, beleidigt zu sein. »Die Bundeslade, der Leib Christi… ja, die Geschichten sind mir natürlich bekannt. Doch ein Großteil der Motive, die Sie hier sehen, steht in Zusammenhang mit dem Templerorden. Schilde und Inschriften… und auch einige der Reliefs. Auch das Grab von William St. Clair befindet sich hier. Er ist im vierzehnten Jahrhundert in Spanien gestorben, und zwar als er das Herz unseres Königs Robert Bruce ins Heilige Land bringen wollte.«
»Hätte man das nicht lieber der Post überlassen sollen? Man weiß doch, wie zuverlässig die arbeitet.«
»Die Templer«, fuhr Sithing geduldig fort, »waren der militärische Arm der Prieuré de Sion, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den Tempelschatz des Salomon wiederzufinden.«
»Gibt es nicht ganz in der Nähe ein Dorf namens Temple?«, sagte Siobhan. »Dann verdankt der Ort seinen Namen also den Templern?«
»Ja, und eine verfallene Templerkirche gibt es dort auch«, schob Sithing rasch nach. »Manche behaupten sogar, dass es sich bei der Rosslyn-Kapelle um eine Nachbildung des Tempels Salomon handelt. Die Templer sind übrigens im vierzehnten Jahrhundert nach Schottland gekommen, weil
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