Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
übernehmen?«
»Aber die Gefangenen kommen doch öfter zusammen. In den Werkstätten, in der Kapelle… Sogar im Hof hab ich ein paar gesehen.«
»Das waren Gefangene mit Hafterleichterung, die außerdem beaufsichtigt werden. Solche Freiheiten hat Cafferty hier nie
genossen.«
»Also war er nicht der große Boss?«
»Nein.«
»Wer dann?« Nairn schüttelte den Kopf. »Erzähl mir doch nichts, Bill. Ihr habt hier in eurem Knast Drogen, Geldverleiher, Gangs, die sich bekriegen. Ihr verarbeitet in euren Werkstätten alte Drähte, um die wertvollsten Bestandteile wiederzuverwerten. Versuch mir doch bitte nicht weiszumachen, dass davon nicht immer wieder mal was wegkommt und als Stichwaffe verwendet wird.«
»Einzelfälle, John. Ich leugne das alles ja gar nicht: Unser Hauptproblem hier sind Drogen. Aber nicht im großen Maßstab. Aber damit hatte Cafferty nichts zu tun.«
»Wer dann?«
»Ich sage dir doch. So ist das hier nicht organisiert.«
Rebus lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und sah sich in dem Raum um: überall frische Farbe und neue Teppichböden. »Weißt du was, Bill? Natürlich könnt ihr eure Bude ein bisschen aufdonnern, aber das ändert nichts an den wirklichen Strukturen.«
»Immerhin ein Anfang«, sagte Nairn unbeirrt.
Rebus kratzte sich an der Nase. »Könnte ich vielleicht mal Caffertys medizinischen Bericht sehen?«
»Nein.«
»Könntest du denn mal für mich nachsehen? Nur zu meiner Beruhigung.«
»Röntgenaufnahmen lügen nicht, John. Die Kliniken hier in der Gegend sind führend in der Krebsdiagnose und -therapie. Ist eine der Wachstumsindustrien an der Westküste.«
Rebus lächelte, wie Nairn es von ihm erwartete. In der Kabine nebenan tauchte jetzt ein Anwalt auf. Ein paar Minuten später kam der Häftling. Ein junger, verwirrter Mensch. Untersuchungshaft vermutlich. Wahrscheinlich würde er in wenigen Stunden vor seinem Richter stehen. Zwar noch nicht schuldig gesprochen, aber schon mit den Niederungen des Daseins ver
traut.
»Wie war er denn eigentlich so?«, fragte Rebus.
Nairns Piepser meldete sich. Er versuchte das Gerät auszuschalten. »Wer, Cafferty?« Er machte sich an seinem Gürtel zu schaffen, wo das Gerät befestigt war. »Eigentlich gar nicht so schlimm. Du weißt doch, wie das bei diesen Berufsverbrechern ist: Für die gehört 'ne Runde Knast einfach zu ihrem Job. Ein vorübergehender Standortwechsel.«
»Und – glaubst du, dass er sich irgendwie verändert hat?«
Nairn zuckte mit den Schultern. »Wird schließlich auch nicht jünger, der Mann.« Er hielt inne. »Außerdem haben sich vermutlich in Edinburgh während seiner Abwesenheit die Machtverhältnisse verschoben.«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Dann macht er also genauso weiter wie früher?«
»An die Costa del Sol hat er sich jedenfalls noch nicht abgesetzt.«
Nairn lächelte. »Du meinst, wie Bryce Callan. Tja, ist uns leider nie gelungen, den Kerl einzusperren.«
»Aber mangelnden guten Willen haben wir uns wahrlich nicht vorzuwerfen.«
»John…« Nairn betrachtete seine Hände, die auf der Tischplatte lagen. »Du hast Cafferty doch sogar manchmal besucht.«
»Ja und?«
»Also läuft zwischen euch mehr als die übliche Bulle-Schur-ke-Geschichte.«
»Wie meinst du das, Bill?«
»Ich meine nur…« Er seufzte. »Ich weiß nicht genau, was ich meine.«
»Du meinst, dass ich an Cafferty irgendwie zu nahe dran bin? Geradezu von ihm besessen…, nicht mehr objektiv?« Rebus fiel wieder Siobhans Ausspruch ein: Man muss nicht besessen sein, um ein guter Polizist zu sein. Nairn suchte nach den richtigen Worten. »Ich bin ganz deiner Meinung«, fuhr Rebus fort.
»Manchmal fühle ich mich diesem Schwein näher als…«Er verschluckte das Ende des Satzes: als meiner eigenen Familie. »Deshalb wäre ich ja auch wesentlich ruhiger, wenn er hier eingelocht wäre.«
»Aus den Augen, aus dem Sinn.«
Rebus neigte sich mit dem Oberkörper nach vorne und blickte um sich. »Ganz unter uns.« Nairn nickte. »Ich habe Angst, dass sich irgendwas Schlimmes zusammenbraut, Bill.«
Nairn sah ihn fragend an. »Du meinst, dass er was gegen dich ausheckt?«
»Ja. Wenn es stimmt, was du sagst, dann hat der Mann doch nichts zu verlieren?«
Nairn dachte nach. »Und du selbst?«
»Ich?«
»Sagen wir mal, er stirbt eines natürlichen Todes. Könnte es nicht sein, dass du dich dann regelrecht betrogen fühlst? Weil du ihm dann nicht mehr an den Kragen kannst. Weil es dir nicht gelungen ist, ihn zu besiegen?
Ihn
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