Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
Tag walzt öde sich dahin,
Wie funkelnd huschtest du vorbei,
Als meine Liebste ich umfing…
Wieder Cafferty; wieder ein Burns-Lied. Seine Stimme ebenso schmerzlich wie freudetrunken. Und Rab saß mit halb geschlossenen Augen neben dem Klavier und atmete schwer. Zwei Männer, gerade aus dem Knast entlassen. Der eine starb singend, der andere eine Karikatur eines freien Menschen.
Alles war so falsch, so völlig falsch.
Rebus spürte es in seinem dem Untergang geweihten Herzen.
Dritter Teil
Jenseits des Nebels
Doch manchmal glitzert Raureif im Sonnenlicht hoffnungsgleich, wenn Muskeln sich verspannen, und der gefrierende Dunst wispernd kundtut: Lass die Flasche wenigstens für diesmal ruhen. Es gibt noch warme Mysterien jenseits dieses Nebels.
Angus Calder, »Love Poem«
29
Jerry kreuzte völlig verfroren und durchnässt auf dem Arbeitsamt auf. Der Rasierschaum war ihm ausgegangen, deshalb hatte er normale Seife verwendet. Dann hatte sich noch herausgestellt, dass seine letzte Rasierklinge völlig ruiniert war, weil Jayne sich die Beine damit rasiert hatte. Also schon am frühen Morgen der erste Streit. Er hatte sich mehrmals geschnitten, und an einer Stelle ließ sich das Blut kaum stillen. Und jetzt brannte sein Gesicht – und der verdammte Schneeregen hatte ihm den Rest gegeben. Und natürlich riss genau in dem Augenblick die Wolkendecke auf, als er das Arbeitsamt betrat, und die Sonne kam zum Vorschein.
Tja, eine grausame Stadt – dieses Edinburgh.
Er wartete eine halbe Stunde, bis sich herausstellte, dass er den Termin gar nicht auf dem Arbeitsamt, sondern beim Sozialamt hatte. Und das bedeutete eine weitere halbe Stunde Fußmarsch. Fast wäre er wieder nach Hause gegangen, doch dann überlegte er es sich noch einmal anders. Außerdem: Was erwartete ihn schon zu Hause? Wie im Knast kam er sich dort in letzter Zeit vor – und dann noch seine nörgelnde Frau, die ihm ständig Vorhaltungen machte.
Also ging er zum Sozialamt, wo man ihn wissen ließ, dass er eine Stunde zu spät dran war. Und als er der Dame dort die Sache erklären wollte, hörte sie ihm überhaupt nicht zu.
»Bitte, nehmen Sie erst mal Platz. Mal sehen, was wir für Sie tun können.«
Er hockte sich also zwischen die verschnupften Leute und saß direkt neben einem alten Knaben, der steinerweichend hustete und am Ende seinen Auswurf auf den Boden spuckte.
Jerry suchte sich einen anderen Platz. Zwar war seine Jacke unterwegs in der Sonne getrocknet, doch sein Hemd war immer noch klamm. Er saß bibbernd da. Um Gottes willen – nur keine Grippe. Er wartete eine Dreiviertelstunde. Andere Leute kamen und gingen wieder. Zweimal sprach er mit der Rezeptionistin. Sie erklärte ihm, dass man nach einer Möglichkeit suche, ihn »dazwischenzuschieben«. Die Frau hatte dünne Lippen und einen abweisenden Zug um den Mund. Also setzte er sich wieder.
Tja, was sollte er nur tun? Er stellte sich vor, in einem hübschen warmen Büro mit einer Kaffeemaschine zu arbeiten und den Anblick der jungen Mädchen in Miniröcken zu genießen. Genau wie Nic. Jesus, eine wundervolle Vorstellung. Wahrscheinlich ging Nic gerade zum Mittagessen in einen dieser schicken Läden mit blütenweißen Tischtüchern. Geschäftsessen mit teuren Getränken und dann zum Abschluss ein Handschlag, der den Deal besiegelte. Eigentlich kein Problem, so ein Job. Aber nicht jeder war mit der Cousine des Chefs verheiratet.
Noch gestern Abend hatte Nic ihn am Telefon zusammengeschissen, weil er nach der Disco einfach abgehauen war. Am Ende hatte er allerdings wieder ganz versöhnlich geklungen. Doch irgendwas war anders gewesen als früher. Ja genau, Nic hatte Angst vor ihm. Und dann fiel ihm plötzlich der Grund ein. Weil er – Jerry – nämlich zu den Bullen gehen und Nic verpfeifen konnte. Nic musste ihn bei Laune halten, deshalb hatte er den Vorfall auch heruntergespielt, ein paar Witze gemacht und zum Schluss gesagt: »Klar, ich verzeih dir noch mal. Kennen uns schon so lange. Weißt du noch: Wir zwei gegen den Rest der Welt.«
Allerdings hatte Jerry im Augenblick das Gefühl, ganz allein gegen die Welt zu kämpfen – in diesem vermieften Loch, wo niemand sich um ihn kümmerte. Er dachte: Wir zwei gegen den Rest der Welt. Hat doch ohnehin nie gestimmt. Sie waren doch nie gleichwertige Freunde gewesen. Ja, was bedeuteten sie sich denn überhaupt? Möglich, dass er die Antwort auf diese Frage inzwischen kannte. In erster Linie ging es darum, die
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