Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
Kilometer jenseits des Ortes hinter einer langen Mauer. Es gab zwar eine aus Stein erbaute Toreinfahrt, aber kein Tor, sondern lediglich ein Schild mit der Aufschrift »Privat«. Seinen Namen High Manor verdankte das Anwesen dem Umstand, dass sich Hugh, als er noch bei Obscura mitgespielt hatte, mit dem Künstlernamen High Cord geschmückt hatte. Rebus hatte eines der Alben der Gruppe dabei: Continuous Repercussions. Auf der Hülle war Lorna abgebildet. Sie saß in einem durchsichtigen weißen Gewand wie eine Hohepriesterin auf einem Thron, und um ihren Kopf ringelte sich eine Schlange. Laserblitze zuckten aus ihren Augen. Die Ränder des Covers waren mit Hieroglyphen verziert.
Er parkte seinen Saab neben einem Fiat Punto und einem Landrover. Ein Stück abseits standen noch ein paar andere Autos: ein ramponierter alter Mercedes und ein amerikanischer Klassiker mit Faltdach. Rebus ließ das Album im Wagen zurück und ging zur Eingangstür. Lorna Grieve selbst öffnete ihm die Tür. Eiswürfel klimperten in dem Glas, das sie in der Hand hielt.
»Da ist ja mein kleiner Affen-Mann«, gurrte sie. »Herein mit Ihnen. Hugh ist unten in den Katakomben. Aber Sie müssen bitte ganz leise sein, bis er fertig ist.«
Diese geheimnisvollen Sätze bedeuteten, dass Hugh gerade in seinem Heimstudio beschäftigt war, das er sich im Keller des Hauses eingerichtet hatte. Cordover selbst saß gemeinsam mit einem Toningenieur in der verglasten Kontrollbox. Um sie her eine wahre Orgie an elektronischen Geräten. Durch das dicke Glas konnte Rebus in das eigentliche Studio hineinblicken. Drei total erschöpfte junge Männer waren dort unten zu sehen. Der Schlagzeuger ging mit einer Flasche Jack Daniels in der Hand hinter seinen Gerätschaften auf und ab. Der Gitarrist und der Bassist lauschten konzentriert in ihre Kopfhörer. Überall leere Bierdosen, Zigarettenpäckchen, Weinflaschen und Gitarrensaiten.
»Versteht ihr, was ich meine«, sagte Cordover in ein Mikrofon. Die Musiker nickten. Er sah Rebus an. »Also gut, Jungs, die Polizei ist hier und möchte mit mir sprechen. Versucht mal, den Text noch etwas deutlicher rüberzubringen, okay?«
Die Musiker grinsten und erhoben die Hände zum V-Zei-chen.
Cordover gab dem Toningenieur ein paar Anweisungen und stand steif von seinem Stuhl auf. Er strich mit der Hand über sein unrasiertes Gesicht und schüttelte langsam den Kopf. Dann öffnete er die Tür und ließ Rebus beim Verlassen des Kontrollraums den Vortritt.
»Wer sind die Jungs?«, fragte Rebus.
»Kommen bald ganz groß raus«, entgegnete Cordover, »jedenfalls, wenn sie tun, was ich ihnen sage. Sie heißen The Crusoes.«
»The Robinson Crusoes?«
»Haben Sie von Ihnen gehört?«
»Irgendwer hat mir erzählt, dass Sie die Gruppe managen.«
»Ja, ich bin ihr Manager, Arrangeur, Produzent. Halt der Papi, der für alles sorgt.« Cordover stieß eine Tür auf. »Das hier ist der Aufnahmeraum.«
In dem Raum herrschte das absolute Chaos. Der Boden, die Stühle – alles war mit Musikzeitschriften bedeckt. Cordover öffnete den Kühlschrank und schnappte sich eine Flasche Wasser. »Möchten Sie auch was?«
Lorna Grieve saß auf einem roten Sofa und legte die Zeitung beiseite, in der sie gelesen hatte. »Falls meine Menschenkenntnis mich nicht trügt, möchte mein kleiner Affen-Mann was Richtiges trinken.« Sie ließ das Eis in ihrem Glas klimpern, um zu demonstrieren, was sie meinte. Sie trug einen grünen Seidenanzug und war barfuß. Um den Hals hatte sie sich ein rotes Chiffontuch geschlungen.
»Keinen Alkohol«, sagte Rebus und nickte, als Cordover zwei Flaschen aromatisiertes Mineralwasser anschleppte.
»Was dagegen, wenn wir uns hier unterhalten?«, sagte Cordover. »Oder sollen wir lieber nach oben gehen?«
»Ist doch egal«, sagte Lorna, »oben ist es auch nicht ordentlicher.«
»Kein Problem«, sagte Rebus und setzte sich auf einen Stuhl. Cordover selbst hievte sich auf einen Billardtisch und saß mit baumelnden Beinen da. Seine Frau verdrehte genervt die Augen. Offenbar fand sie es gar nicht gut, dass er sich nicht ein
fach auf einen Stuhl setzte.
»Wer von den Jungs war Peter Grief?«, fragte Rebus.
»Der Bassist«, antwortete Cordover.
»Kennt er seinen Vater?«
»Natürlich kennt er ihn«, fuhr Lorna Grieve ihn an.
»Besonders nahe gestanden haben sich die beiden allerdings nicht«, fügte Cordover hinzu.
»Der Affen-Mann«, sagte Grieve zu ihrem Mann, »findet es, glaub ich, gar nicht gut, dass du so kurz
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