Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
wahrlich nicht seines Todes bedurft, damit ich für das Parlament kandidieren kann.«
»Aber er ist nun mal tot, und Sie bewerben sich um die Kandidatur.«
»Richtig, ich bewerbe mich darum«, räumte sie ein.
»Und sie hat dabei die ganze Partei hinter sich«, giftete Jo Banks. »Und falls Sie daran denken, irgendwelche Anschuldigungen zu erheben…«
»Die beiden Herren wollen doch nur Roddys Mörder überführen«, sagte Seona Grieve. »So ist es doch, Inspektor, nicht wahr?«
Rebus nickte.
»Dann stehen wir also weiterhin auf derselben Seite?«
Rebus nickte abermals, war sich jedoch nicht so sicher, ob Jo Banks diese Auffassung teilte.
Als Hamish schließlich ein Tablett mit einer Kanne Kaffee und Tassen hereinbrachte, erkundigte sich Seona Grieve nach dem Stand der Ermittlungen, und Linford bemühte die üblichen Leerformeln. Doch die beiden Frauen fielen auf seine Sprüche nicht herein. Seona Grieve sah vielmehr Rebus an. Durch eine leichte Neigung des Kopfes signalisierte sie ihm, dass sie genau wusste, was er dachte. Dann sah sie wieder Linford an und unterbrach ihn.
»Sparen Sie sich die Mühe, Inspektor Linford. Ich entnehme Ihren Ausführungen jedenfalls, dass Sie im Prinzip noch keinen Schritt weitergekommen sind.«
»Klingt eher so, als ob Sie sich verzweifelt an jeden Strohhalm klammern«, murmelte Jo Banks.
»Wir sind durchaus zuversichtlich…«, fing Linford gerade wieder an.
»Inspektor Linford. Ich bin sicher, dass Sie alles tun, was in Ihrer Macht steht. Ansonsten hätten Sie es in Ihrem Alter noch nicht so weit gebracht. Ich bin Lehrerin von Beruf, wissen Sie. Ich hab schon viele Jungs wie Sie kennen gelernt. Wenn diese jungen Männer mit der Schule fertig sind, glauben sie, dass sie alles erreichen können, was sie sich gerade in den Kopf setzen. Die meisten begreifen ziemlich bald, dass es so einfach nicht geht. Aber Sie…« Sie erhob spöttisch tadelnd einen Finger. Dann sah sie Rebus an, der immer wieder in seine Tasse blies. »Inspektor Rebus dagegen…«
»Was?«, fragte Linford wie aus der Pistole geschossen.
»Inspektor Rebus dagegen glaubt im Prinzip an gar nichts mehr. Oder sehe ich das falsch?« Rebus blies weiterhin in seinen Kaffee und schwieg beharrlich. »Inspektor Rebus gibt sich völlig desillusioniert und spielt den Zyniker. Kennen Sie zufällig das deutsche Wort Weltschmerz, Inspektor?«
»Hab ich, glaub ich, bei meinem letzten Auslandsaufenthalt auf der Speisekarte gelesen«, sagte Rebus.
Sie lächelte ihn traurig an. »Das Wort bezeichnet einen Zustand geistiger Erschöpfung.«
»Pessimismus«, pflichtete Hamish ihr bei.
»Sie sind doch sicher der Meinung, dass es sich nicht lohnt, zur Wahl zu gehen, Inspektor, nicht wahr?« fragte Seona Grieve. »Weil Sie glauben, dass es ohnehin keinen Sinn hat.«
»Eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, die ich von ganzem Herzen begrüße«, sagte Rebus. Jo Banks stöhnte auf. Hamish musste lachen. »Ich weiß nur nicht recht, an wen ich mich mit meinen Problemen künftig wenden soll: vielleicht an meinen Wahlkreisabgeordneten für das Schottische Parlament oder an meinen Listenabgeordneten oder aber an meinen Abgeordneten in London? Vielleicht aber auch an meinen Europa-Abge-ordneten oder an meinen Stadtrat? Das meine ich mit Arbeitsbeschaffung.«
»Und warum halse ich mir dann diese ganze Arbeit auf?«, sagte Seona Grieve leise. Jo Banks drückte ihr begütigend die Hand.
»Weil es richtig ist«, sagte sie.
Als Seona Grieve jetzt Rebus ansah, standen Tränen in ihren Augen. Rebus wich ihrem Blick aus.
»Kann sein, dass die Frage etwas unpassend ist«, sagte er. »Aber Sie haben uns gesagt, dass Ihr Mann kaum getrunken hat. Nach meinen Informationen hat er allerdings dem Alkohol
– wenigstens früher – ausgiebig zugesprochen.« »Um Himmels willen«, zischte Jo Banks. Seona Grieve putzte sich die Nase. »Offenbar haben Sie mit
Billie gesprochen.«
»Ja«, gestand er.
»Die will sich doch nur rächen«, murmelte Jo Banks.
Rebus sah sie an. »Verstehen Sie, Miss Banks, wir haben da ein Problem. Wir wissen nicht, was Roddy Grieve in den Stunden vor seinem Tod gemacht hat. Bisher gibt es nur einen Zeugen. Dieser Mann will ihn in einer Kneipe gesehen haben, wo er angeblich allein getrunken hat. Wir müssen wissen, ob das typisch für ihn war: also ob er ein einsamer Trinker gewesen ist. Falls ja, können wir uns nämlich die Mühe sparen, die Freunde aufzuspüren, mit denen er angeblich an jenem letzten Abend
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