Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
Ende.«
»Offen gestanden, sie müssten doch verrückt sein, wenn sie das nicht ausnutzen würden.«
Nach dem Besuch im Krankenhaus war das Weinlokal in der High Street eine echte Wohltat. Linford nippte an seinem Chardonnay und fragte Gwen Mollison, was sie damit sagen wolle. Mollison war eine groß gewachsene Frau mit langem blondem Haar, vielleicht Mitte Dreißig. Sie trug eine fast randlose Brille, die ihre Augen mit den langen Wimpern noch stärker zur Geltung brachte, und spielte mit ihrem Handy, das direkt neben ihrem dicken Terminkalender auf dem Tisch lag. Immer wieder sah sie sich in dem Raum um, als ob sie eigentlich erwartete, dort Freunde oder Bekannte anzutreffen. Auch auf dieses Gespräch war Linford optimal vorbereitet. Mollison war die Nummer drei im Baudezernat der Stadt. Sie hatte zwar nicht Roddy Grieves Stammbaum und konnte auch nicht auf so viele Jahre Parteiarbeit zurückblicken wie Archie Ure, deshalb hatte sie gegen die beiden verloren, trotzdem galt sie als große Hoffnung. Sie stammte aus der Arbeiterklasse und war durch und durch auf New Labour eingeschworen. Außerdem kam sie gut in der Öffentlichkeit an und war eine exzellente Rednerin. Sie trug einen cremefarbenen Leinenanzug – vielleicht Armani. Linford erkannte in ihr sofort die verwandte Seele und hatte sein eigenes Handy direkt neben ihres gelegt.
»Ist doch der klassische PR-Coup«, erklärte Mollison gerade. Vor ihr standen ein Glas Zinfandel und ein Mineralwasser. Allerdings hatte sie den Wein bisher noch nicht angerührt. Linford bewunderte ihre Taktik: Obwohl sie Alkohol trank, also nicht abstinent war, erweckte sie den Eindruck, eigentlich nur Wasser zu trinken.
»Ich meine«, fuhr Mollison fort, »natürlich ist sie jetzt eine Sympathieträgerin. Außerdem hat Seona reichlich Freunde in der Partei. Sie hat ja mindestens so aktiv mitgearbeitet wie Roddy.«
»Kennen Sie sie?«
Mollison schüttelte den Kopf, doch nicht, um seine Frage negativ zu beantworten, sondern vielmehr, um sie als irrelevant abzutun. »Allerdings glaube ich nicht, dass die Partei an sie herangetreten ist, das wäre nun doch zu plump gewesen. Als sie jedoch von sich aus angerufen hat, haben dort natürlich sofort sämtliche Glocken geläutet.« Sie schnappte sich ihr Handy und überprüfte, ob es noch geladen war. Im Hintergrund dudelte Jazzmusik. Außer ihnen hielten sich in dem Lokal nur noch ein paar andere Leute auf, typisch für diese Zeit am Nachmittag. Da sein Mittagessen ausgefallen war, hatte Linford schon ein ganzes Schälchen Erdnüsse vertilgt. Und mit Nachschub war offenbar nicht zu rechnen.
»Und – sind Sie enttäuscht?«
Mollison zuckte mit den Achseln. »Da kommen schon noch andere Gelegenheiten.« So selbstbewusst, so selbstbeherrscht. Die Frau hatte zweifellos eine glänzende Zukunft vor sich. Linford hatte ihr sicherheitshalber schon mal eine Visitenkarte überreicht – eine von den guten, mit dem Prägedruck. Auf der Rückseite war handschriftlich seine Privatnummer vermerkt. Als er ihr das Kärtchen gab, sagte er lächelnd: »Nur für alle Fälle.« Ein paar Minuten später unterdrückte er ein Gähnen, und sie fragte: »Langweile ich Sie etwa?«
»Reine Übermüdung«, entgegnete er.
»Wirklich Leid tut mir eigentlich nur Archie«, fuhr sie jetzt fort. »Dürfte seine letzte Chance gewesen sein.«
»Aber er steht doch ziemlich weit oben auf der Regionalliste.«
»Gut. Das konnten sie ihm einfach nicht verweigern – das wäre eine echte Brüskierung gewesen. Aber Sie verstehen offenbar nicht richtig. Diese Stimmen zählen nämlich nur, wenn wir in unserem Wahlkreis nicht das Direktmandat gewinnen.«
»Das ist zu hoch für mich.«
»Auch wenn Archie auf dieser Liste ganz oben steht, kommt er höchstwahrscheinlich nicht ins Parlament.«
Linford dachte über diese Auskunft nach, verstand aber noch immer nicht richtig, was sie meinte. »Scheint so, als ob Sie sehr großzügig wären«, sagte er einfach so dahin.
»Wieso ich?« Sie lächelte ihn an. »Sie verstehen nichts von Politik. Wenn ich eine Niederlage hinnehme, ohne herumzuzicken, dann kommt mir das beim nächsten Mal zugute. Man muss verlieren lernen.« Sie zuckte wieder mit den Achseln. Ihre gepolsterten Schultern ließen ihre schlanke Gestalt etwas wuchtiger erscheinen, als sie eigentlich war. »Aber wollten wir nicht über Roddy Grieve sprechen?«
Linford lächelte. »Sie gehören nicht zum Kreis der Verdächtigen, Miss Mollison.«
»Wie
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