Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
Coghill: »Vielleicht ist es besser, wenn ich Ihnen gleich alles zeige.«
»Ich habe keinen Führerschein«, erklärte die Witwe. »Deshalb hab ich Deans Autos verkauft. Er hat nämlich zwei gehabt, eins für die Arbeit und eins zum Vergnügen.« Offenbar fiel ihr wieder etwas ein, denn ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie gingen über die asphaltierte Auffahrt vor dem Haus. Von dem länglichen Bungalow an der Frogston Road aus konnte man weiter südlich die schneebedeckten Pentland Hills erkennen.
»Dean hat sich damals von seinen Männern eine Doppelgarage bauen lassen«, fuhr Mrs. Coghill fort. »Und das Haus hat er auch auf beiden Seiten vergrößern lassen.«
Die beiden Kripobeamten nickten, wussten allerdings immer noch nicht, was sie in der Doppelgarage erwartete. Mrs. Coghill sperrte an der Seite der Garage eine kleine Tür auf. Dann taste sie mit der Hand an der Wand entlang und machte das Licht an. Die geräumige Garage war fast bis obenhin mit Teekisten, Büromöbeln und Werkzeugen gefüllt. Es gab dort beinahe alles: Spitzhacken, Stemmeisen, Hämmer und mit Schrauben und Nägeln gefüllte Schachteln. Industriebohrer, ein paar Presslufthämmer, ja sogar mit Mörtel bespritzte Eimer. Mrs. Coghill legte die Hand auf eine der Teekisten.
»Mein Gott, all diese Papiere. Irgendwo muss es auch noch einen Aktenschrank geben…«
»Vielleicht da drüben unter der Decke?«, fragte Wylie und zeigte in die hintere Ecke.
»Wenn Sie etwas über Queensberry House in Erfahrung bringen möchten, dann müssten Sie es eigentlich hier finden.«
Wylie und Hood sahen sich an. Hood ließ hörbar die Luft aus seinem Mund entweichen.
»Genau das Richtige für das Histo-Team«, sagte Ellen Wylie.
Hood nickte und sah sich in dem Raum um. »Gibt's hier vielleicht so was wie 'ne Heizung, Mrs. Coghill?«
»Ich kann Ihnen einen Heizlüfter aus dem Haus holen.«
»Zeigen Sie mir bloß, wo das Ding ist«, sagte Hood. »Ich hol es dann schon selbst.«
»Ich könnte mir vorstellen, dass Sie gegen eine Tasse Tee jetzt nichts mehr einzuwenden hätten«, sagte Mrs. Coghill, die offenbar über die Gesellschaft der beiden erfreut war.
Siobhan Clarke hatte die Habseligkeiten des »Supertramps« vor sich auf dem Schreibtisch ausgebreitet: den Inhalt seiner Plastiktüte, sein Bausparkassenbuch, die Aktentasche (die ihr letzter Besitzer nur widerstrebend herausgerückt hatte) und die Fotografien. Außerdem lagen dort noch ein paar Briefe Geistesgestörter und schriftliche Mitteilungen über Anrufe, die sie erhalten hatten, darunter drei von Gerald Sithing.
Den Namen »Supertramp« hatte eines der Boulevardblätter kreiert. Inzwischen hatten die Revolverblätter aber auch die Sex-auf-den-Kirchenstufen-Geschichte ausgegraben und sogar ein Archivfoto von Dezzi aufgegabelt. Siobhan wusste, dass die Geier schon unterwegs waren, um Dezzi weitere schmierige Details zu entlocken. Möglich, dass Dezzi ihnen sogar von der Aktentasche erzählen würde. Scheckbuchjournalismus im strikten Sinne kam in diesem Fall allerdings nicht in Frage – nicht solange Dezzi kein eigenes Konto hatte. Also blieb wahrscheinlich nur eine Alternative: Bargeldjournalismus. Möglicherweise hatten die Reporter auch schon mit Rachel Drew gesprochen. Auch sie würde einen Scheck gewiss nicht ablehnen. Noch ein paar Schmankerl für die verehrte Leserschaft und Futter für die Durchgeknallten und die Geldgeilen.
So lange die Medien über den Fall berichteten, musste sie jedenfalls mit immer neuen Briefen und Anrufen rechnen.
Sie erhob sich von ihrem Schreibtisch und streckte sich, bis ihre Wirbel knackten. Es war schon nach sechs, und die Kollegen waren längst nach Hause gegangen. Man hatte sie in ein anderes Zimmer verfrachtet – der Grieve-Mord hatte natürlich Priorität –, und ihr Schreibtisch stand jetzt in einem langen schmalen Schlauch in der hintersten Ecke. Das nächste Fenster war etliche Meter entfernt. Dabei konnte sie noch von Glück sagen: Hood und Wylie hatte es noch schlimmer erwischt. Die Bude, in der sie augenblicklich hausten, hatte nämlich nicht einmal ein Fenster. Erst vor ein paar Stunden hatte der Hauptkommissar mit ihr gesprochen. Das Ergebnis: Ihr blieben nur noch wenige Tage Zeit. Sollte es ihr bis dahin nicht gelingen, den Supertramp zu identifizieren, dann war Schluss. Unter diesen Umständen würde die öffentliche Hand das Geld einschieben und Mackies Selbstmord mitsamt der ganzen Vorgeschichte blieb ungeklärt.
»Wir haben
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