Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
Entspannungspolitik im Kalten Krieg, so kann man zusammenfassen, war für alle Beteiligten niemals Selbstzweck. Sie war in der Regel der Versuch, einen Ausweg aus einer politischen oder wirtschaftlichen Zwangslage zu finden, ohne die eigene Sicherheit aufs Spiel zu setzen.
Die erste Phase einer Annäherung zwischen den Blöcken begann daher unmittelbar, nachdem der Kalte Krieg seine erste heiße Etappe bereits durchlaufen hatte und in Korea sogar militärisch geführt worden war. Ob es sich bei den sogenannten Stalin-Noten vom 10. März und 9. April 1952 bereits um einen ernsthaften Versuch der Entspannung handelte oder sie nur eine simple Probe waren, ob sich die bevorstehende Westbindung der Bundesrepublik torpedieren ließ, blieb umstritten. Die an die Westmächte gesandten Noten Stalins beinhalteten den Vorschlag, sofort in Verhandlungen über einen Friedensvertrag mit einem wiedervereinigten Gesamtdeutschland einzutreten. 1 Die Bedingungen der Wiedervereinigung hörten sich für viele auf den ersten Blick sehr vernünftig an. Deutschland sollte demokratisch sein und sich verpflichten, keinerlei Koalitionen oder Militärbündnisse einzugehen, die sich gegen die Staaten richteten, die im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Alliierten gekämpft hatten. Dies hätte Neutralität oder eine Art «Blockfreiheit» bedeutet, die nur drei Jahre später für die gerade unabhängig gewordenen und die im Dekolonisierungsprozeß befindlichen Staaten zum Modell wurde. Eigene Streitkräfte zur Selbstverteidigung, wie sie dann dem zweiten großen Verlierer des Zweiten Weltkriegs, Japan, zugestanden wurden, sollte auch ein wiedervereinigtes Deutschland unterhalten dürfen. Die Gebietsverluste östlich der Oder-Neiße-Linie waren anzuerkennen, womit die nach dem Potsdamer Abkommen noch unter polnischer und sowjetischer Verwaltung stehenden Gebiete einen endgültigen völkerrechtlichen Status erhalten hätten. Die Sowjets vergaßen zudem nicht zuzusichern, daß es auch den «ehemaligen Nazis» und den Offizieren der Wehrmacht gestattet sein würde, am Aufbau des neuen Staates weiter mitzuarbeiten. Dies hatte die UdSSR im Prinzip bereits Jahre zuvor auch in ihrer Besatzungszone eingeräumt. Die ergänzende April-Note sah dann auch freie Wahlen für ein gesamtdeutsches Parlament vor, die von den vier alliierten Mächten beaufsichtigt werden sollten. Es folgten am 24. Mai und 23. August 1952 noch zwei weitere Noten, die jeweils auf den raschen Beginn der Verhandlungen drängten.
Im Westen ließ man sich auf eine nähere Prüfung der Vorschläge Stalins erst gar nicht ein. Adenauer lehnte das sowjetische Angebot, wie er Pressevertretern gegenüber darlegte, mit dem Argument ab, dies sei lediglich der durchsichtige Versuch, Gesamtdeutschland zu sowjetisieren und darüber hinaus, «im Wege der Neutralisierung Deutschlands die Integration Europas zunichte zu machen [,..]». 2 Dies entsprach seit langem seiner Auffassung und konnte offensichtlich auch durch neue Offerten nicht verändert werden. Ob die sowjetischen Noten ernstgemeint waren, war nach Aktenlage im Jahr 1952 ebenso schwierig zu entscheiden wie heute. Entsprechend harsch war bereits die zeitgenössische Kritik am Kanzler. Noch Jahre später warfen ihm deswegen unter anderem der FDP-Politiker Thomas Dehler und der mittlerweile in die SPD eingetretene Gustav Heinemann in einer «Generalabrechnung» im Bundestag im Januar 1958 vor, in der Wiedervereinigungspolitik versagt zu haben. Die Brisanz des Vorwurfs lag nicht zuletzt darin, daß beide Politiker im ersten Kabinett Adenauers noch vertreten gewesen waren und sich vor allem wegen der Deutschlandpolitik zu harschen Adenauer-Kritikern entwickelt hatten. Das wichtigste Merkmal, das schon für viele Zeitgenossen gegen die Auffassung sprach, daß es sich hier um ernste Angebote handeln könnte, war Stalin selbst. Keiner konnte sich vorstellen, daß gerade er zum Entspannungspolitiker geworden war. Allerdings hatte man bereits 1951 sehen können, daß es Stalin offensichtlich darauf ankam, vor dem Hintergrund des sich global entwickelnden Kalten Krieges insbesondere die ehemaligen großen Gegner des Zweiten Weltkriegs zu neutralisieren. In den alliierten Friedensverhandlungen mit Japan hatte die Sowjetunion bis zuletzt versucht, das Land aus den westlichen Bündnissen herauszuhalten. Ob aber Stalin für das Ziel, die Bundesrepublik nicht zum Verbündeten des Westens werden zu lassen, tatsächlich auch bereit sein würde, die DDR
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